Die Kirche von Kussen und ihr Verfall

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Ein Bericht von Prof. Erwin Spehr,

Auszug aus dem "Schloßberger Heimatbrief", von 2007, Seite 78.[1]

Bild 1: Die Kirche von Kussen vor 1945, von Norden aus gesehen. Sie war ein langgestreckter Feldsteinbau mit sieben Fensterachsen und einem kleinen Glockenturm aus Holz. Quelle: Walter Hubatsch[2].
Bild 2: Das Innere der Kirche vor1945: Sie hatte eine flache Holzdecke, an beiden Seiten Emporen und vorn an der Ostwand zwischen zwei Fenstern den Kanzelaltar. Quelle: Walter Hubatsch[2].
Bild 3: Das Kirchengebäude im August 1992: Die Ost- und Nordseite des jetzigen Geräteschuppens der Kolchose machen einen insgesamt noch ordentlichen Eindruck. Foto: E. Spehr.
Bild 4: Im August 1992, die Süd- und Ostseite der früheren Kirche: Ersichtlich ist in den letzten Jahren kaum etwas repariert worden. Bemerkenswert ist der Baumtorso neben der Vorhalle. Foto: E. Spehr.
Bild 5: Im Juli 1997, die Südseite: Der Verfall des jetzt ungenutzten Gebäudes schreitet voran. Foto: E. Spehr.
Bild 6: Im Juli 2005, die Südseite: Von der früheren Kirche stehen nur noch Wände aus Feldsteinen, auch die Vorhalle ist nicht mehr vorhanden. Foto: E. Spehr.
Bild 7: Blick durch das Hauptportal in das Innere der früheren Kirche: Wo vor etwa 60 Jahren getauft, getraut, ein- und ausgesegnet und gebetet wurde, fanden wir im Juli 2005 zerfallende Mauern und wuchernde Wildnis. Foto: E. Spehr.

- Die meisten Kirchen im Kreis Schloßberg überlebten den Krieg, aber nicht die Nachkriegszeit -

Im nördlichen Teil Ostpreußens ist nach dem Krieg mehr Bausubstanz verloren gegangen als durch die Kriegsereignisse selbst. Diese Aussage gilt insbesondere auch für die Kirchen. Der 1949 im russisch gewordenen Königsberg geborene Kunstmaler, Fotograf und Archivar Anatolij Bachtin[3] hat seit den 1980er Jahren alle Kirchenplätze im Königsberger Gebiet immer wieder aufgesucht, die vorgefundenen Bauten bzw. deren Reste fotografiert, den Zustand dokumentiert und die älteren Bewohner des Ortes befragt. Er kam zu dem ernüchternden Ergebnis, dass die weitaus meisten Kirchen nicht durch Kriegseinwirkungen zerstört wurden, sondern erst in der Nachkriegszeit dem Vandalismus, der bewussten Zerstörung oder auch nur einfacher Vernachlässigung zum Opfer gefallen sind.

Die Ost-Akademie Lüneburg hat 1997 die flächendeckende Dokumentation von Anatolij Bachtin zu einer Wanderausstellung gestaltet und dazu auch ein Buch herausgegeben.[4] Diese Dokumentation spiegelt den Zustand von Frühjahr 1997 wider. Das Fazit: Nach Beendigung der Kriegshandlungen 1945 waren von den 224 Kirchen Nord-Ostpreußens („Königsberger Gebiet") 134 gänzlich unversehrt - das sind 60 % - und zahlreiche andere nur leicht beschädigt. 52 Jahre später im Frühjahr 1997 waren 91 Kirchen völlig vernichtet und von weiteren 67 gab es nur noch minimale Reste. In der Summe waren also zu diesem Zeitpunkt 70 % endgültig verloren. Nur 26 der historischen Kirchengebäude befanden sich im Besitz von Kirchen und Religionsgemeinschaften und wurden zu Gottesdiensten genutzt bzw. gerade dafür hergerichtet. Die restlichen alten Kirchengebäude waren entweder fremd genutzt und damit konserviert oder ungenutzt und so dem weiteren Verfall preisgegeben. In den nachfolgenden zehn Jahren bis heute sind weitere Verluste hinzugekommen. In das skizzierte Gesamtbild fügen sich auch die zehn Kirchen des Kreises Schloßberg ein. Im südöstlichen Kreisteil, wo im Oktober 1944 und Januar 1945 schwere Kämpfe stattfanden, sind die Kirchen in Schirwindt, Willuhnen, Steinkirch (Groß Warningken) und Schloßberg (Pillkallen) durch das Kriegsgeschehen vollständig zerstört oder sehr stark beschädigt worden. Die Ruinen wurden in der Folgezeit bald beseitigt, so dass in diesen Orten keine oder nur noch geringe Spuren vorhanden sind. Nach Anatolij Bachtin befindet sich in Schirwindt an der Stelle der früheren neugotischen Kirche ein länglicher, etwa ein Meter hoher Hügel. In Willuhnen fand er ein Bruchstück einer Mauer, in Steinkirch nur noch einige Ziegelsteine. In Schloßberg wurde in den 1960er Jahren an der Stelle der früheren Kirche ein bombastisches sowjetisches Kriegerdenkmal errichtet.

Die übrigen sechs Kirchen des Kreises hatten jedoch den Krieg überlebt. Aber nur die Kirche in Haselberg (Lasdehnen) dient heute als einzige ihrem ursprünglichen Zweck. Das unversehrt gebliebene Gebäude wurde zunächst als Garage, dann als Lagerhalle genutzt und 1991 der orthodoxen Kirche übergeben.

Auch die evangelische Kirche in Schillfelde (Schillehnen) befand sich 1946 noch in einem ausgezeichneten Zustand. Sie wurde zunächst als Freizeitklubhaus, dann als Lagerhaus und - weil nie repariert - schließlich 1975 abgerissen.

Die katholische Kirche in Schillfelde (Schillehnen) war nach dem Krieg ebenfalls noch gut erhalten. Sie wurde zunächst als Reparaturwerkstatt für landwirtschaftliche Maschinen und dann nach einem Umbau als Baumateriallager verwendet. Seit 1995 stand das Gebäude ungenutzt und befand sich 1997 in einem katastrophalen Zustand. Die Kirche in Adlerswalde (Groß Schorellen) war bei den Kampfhandlungen nur am Turm leicht beschädigt worden. 1954 wurde die Glocke abgenommen und verschrottet. Nach einer Brandstiftung durch Jugendliche 1956/57 brannte die Kirche aus und das Dach stürzte ein. Später wurden die Mauern abgerissen und die Steine zur Instandsetzung von Straßen verwendet. Im Jahr 1996 stand nur noch ein Turmfragment. Auch die Kirche von Mallwen (Mallwischken) hatte den Krieg unbeschädigt überstanden. Vermutlich schon in den 1950er Jahren wurde sie demontiert. Um 1963 standen noch Teile der Mauern und Ende der 1960er Jahre war sie vollständig verschwunden.

Den Verfall der Kirche in Kussen konnte ich selbst bei meinen Besuchen 1993, 1997 und 2005 registrieren und dokumentieren. Die Kussener Kirche war vor 1945 ein langgestreckter, rechteckiger, massiver und ungegliederter Feldsteinbau von 38 m Länge und 12,5 m Breite, mit je sieben Fenstern an den Längsseiten, einem kleinen Glockenturm auf dem Westgiebel (Bild 1) und einer Vorhalle in der Mitte der Südseite. Der Innenraum hatte eine flache Holzdecke, und auf beiden Längsseiten gab es von je sieben Säulen getragene Emporen (Bild 2). Links und rechts des schlichten Kanzelaltars befanden sich zwei weitere Fenster und hinten über dem Eingangsportal eine Orgel.[5]

Bereits kurz nach der Reformation hatte Herzog Albrecht[6]1531 auf einer Inspektionsreise Kussen zum künftigen Kirchdorf bestimmt, und sieben Jahre später suchte Bischof Georg v. Polentz eine kleine Anhöhe im Dorf als Platz für die Kirche aus. Es vergingen jedoch noch Jahrzehnte, bis wahrscheinlich in den 1570er oder 1580er Jahren die erste Kirche als ziegelgedeckter Fachwerkbau mit schindelbelegtem Holzturm errichtet wurde. Sicher ist, dass 1586 Michael Sappuhn als erster Pfarrer in Kussen eingesetzt wurde. Diese erste Kirche ist rund 160 Jahre später wegen Baufälligkeit abgebrochen worden. Die von Friedrich dem Großen[7] gestiftete zweite und letzte Kirche in Feldsteinbauweise wurde am 23. Juni 1743 eingeweiht. Die schmiedeeiserne ornamentierte Wetterfahne an der Spitze des Turms trug die Initialen des Stifters „FR" und die Jahreszahl „1742". Dieses Gotteshaus erwies sich jedoch bald als zu klein, so dass 1790 das Kirchenschiff gegen Osten um drei Fensterachsen wesentlich erweitert wurde. Dadurch entstand der äußerlich etwas unproportionierte Gesamteindruck. Zum 300-jährigen Jubiläum erhielt die Kirche eine neue Orgel, eine Glocke und ein Altarkruzifix. Die zweite Glocke kam erst 1922 hinzu. Nach Beendigung der Kampfhandlungen 1945 war die Kirche nach Anatolij Bachtin unversehrt. Sie diente anschließend der Kussener Kolchose, welche auf dem Gutshof von Siegfried Schmalz eingerichtet worden war, als Lagerhalle. Der Turm und die Anbauten im Osten und Westen blieben nicht erhalten. In diesem Zustand konnte ich kurz nach der Wende im August 1992 die frühere Kirche fotografieren (Bild 3 u. 4). Obwohl das Gebäude insgesamt einen passablen Eindruck machte, war doch ersichtlich, dass seit Jahren keine Reparaturen mehr durchgeführt worden waren, von Putz und Farbe ganz zu schweigen. Es hieß, die Kolchose stünde kurz vor dem Bankrott. Das Dach schien noch dicht zu sein. Die Dachgauben waren wohl ursprünglich, dagegen der bretterverschalte Ostgiebel nicht mehr original. Die Fenster waren zugenagelt, die Türen verschlossen. Durch einen Spalt im Eingangsportal konnte ich im Innern landwirtschaftliche Geräte und Maschinen erkennen, ansonsten keine Einbauten, nur kahle Wände. Fünf Jahre später im Juli 1997 gab es die Kolchose Kussen nicht mehr, das Land war aufgeteilt worden. Ein Teil der neuen Bauern bewirtschaftete den Betrieb genossenschaftlich weiter. Die ehemalige Kirche fanden wir ungenutzt vor (Bild 5), sie zeigte deutliche Spuren des beginnenden Verfalls. Am Dach waren Schäden sichtbar, Türen und ein Teil der Fenster waren offen, und die Vegetation in der Umgebung breitete sich aus. Auch das frühere Pfarrhaus in der Nachbarschaft der Kirche machte einen stark vernachlässigten Eindruck, war aber noch bewohnt. Im verwilderten Pfarrgarten konnte man eine gewisse Nutzung erkennen, und auch der alte schmiedeeiserne Gartenzaun war teilweise noch vorhanden. Nach weiteren acht Jahren im Juli 2005 fanden wir nur noch die Umfassungsmauern der ehemaligen Kirche vor (Bild 6 u. 7). Dach und Dachstuhl waren abgebaut und verwertet worden, ebenso die aus Ziegeln erbaute Vorhalle an der Südseite. Die unbrauchbaren Feldsteinmauern überließ man offensichtlich sich selbst. Die Umgebung war stark verwildert, im Innern der „Kirche" blühten Holunder und mannshohe Brennesseln. Das Pfarrhaus wurde gerade „zurückgebaut", am Rande der „Baustelle" standen Stapel noch brauchbarer Ziegel. Es ist anzunehmen, dass die robusten Reste der früheren Kirche in Kussen der Natur noch viele Jahre widerstehen werden.

Die Kirchenruine Kussen

Panoramabild, Blick auf die Südseite und den Ostgiebel mit dem Hautportal, rechts im Bild Vorfahrtsschild, Richtung Schloßberg, Foto: Günther Kraemer, 06.09.2012
Anfahrt zur Kirchenruine, rechts davor ein verfallenes Haus.
Foto: Günther Kraemer, 06.09.2012
Blick auf die Südseite (7 Fenster) und den Ostgiebel mit dem Hautportal. Foto: Günther Kraemer, 06.09.2012
Blick auf die Nordseite in Richtung Westen.
Foto: Günther Kraemer, 06.09.2012
Blick auf den Westgiebel.
Foto: Günther Kraemer, 06.09.2012
Blick auf die Südseite in Richtung Osten.
Foto: Günther Kraemer, 06.09.2012
Blick auf das Hauptportal im Ostgiebel.
Foto: Günther Kraemer, 06.09.2012
Blick durch das Hauptportal nach links in das Kirchenschiff.
Foto: Günther Kraemer, 06.09.2012
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Blick durch das Hauptportal in das Kirchenschiff.
Foto: Günther Kraemer, 06.09.2012
Blick durch das Hauptportal nach rechts in das Kirchenschiff.
Foto: Günther Kraemer, 06.09.2012


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  1. Genehmigung für die Veröffentlichung in GenWiki im „Portal Pillkallen“ unter der Auflage der ausschließlich nicht-kommerziellen Nutzung liegt von der „Kreisgemeinschaft Schloßberg/Ostpr. e.V. in der Landsmannschaft Ostpreußen e.V., Rote-Kreuz-Straße 6, 21423 Winsen/Luhe“ schriftlich vom 19.03.2011 vor.
  2. 2,0 2,1 Walter Hubatsch, Artikel Walther_Hubatsch. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. (01.05.2013)
  3. Fotograf und Archivar Anatolij Bachtin | Die Welt, gefunden am 20.03.2021
  4. Anatolij Bachtin, Gerhard Doliesen: Vergessene Kultur - Kirchen in Nord-Ostpreußen. Eine Dokumentation. Husum 1998, 264 S.
  5. Hubatsch, Walter: Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens. Band 1- 3. Göttingen 1968; Boetticher, Adolf: Bau und Kunstdenkmäler der Provinz Ostpreußen; Heft 5: Litauen. Königsberg 1895. Nachdruck: Warburg 1995; Schnaubert, Julius: Statistische Beschreibung des Kreises Pillkallen, Pillkallen 1894
  6. Herzog Albrecht von Preußen, Artikel Albrecht_(Preußen). In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. (01.05.2013)
  7. Friedrich der Große, Artikel Friedrich_II._(Preußen). In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. (01.05.2013)