Ein Wiedersehen mit der alten Heimat

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In meine Heimat kam ich wieder, es war
die alte Heimat noch. Dieselbe Luft,
dieselben Lieder und alles war ein anderes
doch...

Ein Wiedersehen mit der alten Heimat

Im Sommer 1981 hatte eine in Thüringen lebende Landsmännin aus Tuppen mit ihrer Schwester und Tochter die seltene Gelegenheit, bei Freunden in der UdSSR einen kurzen Urlaub zu verleben und dabei das nördliche Schloßberger Kreisgebiet mit seinem Heimatort Tuppen zu besuchen. Der hier auszugsweise abgedruckte Brief / Reisebericht [1] ist im Schloßberger Heimatbrief [2] von 1981 veröffentlicht worden.

Nach Hause — eine Traumreise, die nach 37 Jahren Wirklichkeit wurde. Ein lang ersehnter Wunsch erfüllte sich, als wir im Sommer 1981 eine Reise in unsere ostpreußische Heimat antraten. Dort begleitete uns unsere Gastgeberin, unsere Sprachkenntnisse hätten nicht ausgereicht. Von unseren Mitreisenden erfuhren wir, dass ab Gusev (Gumbinnen) Omnibusverbindungen nach Krasnoznamensk (Haselberg) besteht. Nach mehrstündiger Fahrt erreichten wir, ohne umzusteigen, unser Ziel. Das alte Bahnhofsgebäude in Gumbinnen stand noch unversehrt. Der Linienbus, der uns zu unserm Heimatort bringen sollte, fuhr an dem Tage leider nicht. Da benutzten wir einfach einen anderen Bus, der nach Sovetsk (Tilsit) fuhr. Von dort ging es weiter mit einem Taxi. Von Tilsit wäre Busverbindung gewesen, wenn wir zwei Stunden gewartet hätten. Das Taxi erschien uns ziemlich preiswert (20 Rubel), außerdem konnten wir uns besser die Gegend ansehen und anhalten, wo wir wollten. Voller Spannung nahmen wir alles wahr, was sich unterwegs unserem Auge bot.

Einzelne Gehöfte, zum Teil verfallen, aber meist bewohnt. Auf den Wiesen Viehherden, ab und zu ein Getreidefeld, doch leider viel Brachland. Je näher wir nach Lindnershorst (Uszballen) kamen, hofften wir, doch noch ein Orientierungszeichen zu erkennen, aber leider nichts. An der Straße stand fast kein Haus mehr. Plötzlich, als die Straße die letzte Kurve machte, stand vor uns das Ortsschild von Haselberg (Lasdehnen). Wir gaben unserm Chauffeur ein Zeichen, dass er langsam fahren möge. Wir haben nun jedes Haus genau in Augenschein genommen. Der große Bauernhof auf der rechten Seite, die Siedlungshäuschen in verwilderten Gärten, und auch sonst die Häuserreihe bis zur Oberschule kamen uns bekannt vor. Es stand fast alles noch. Um den Marktplatz herum war vieles verändert. Das Hotel steht auch noch in verhältnismäßig gutem Zustand. Die Häuser rund herum sind zum Teil verfallen. Wir konnten uns schlecht daran erinnern, was da früher einmal stand. Das Postamt ist erhalten geblieben, ebenso die Apotheke gegenüber. Die Inneneinrichtung des Postamtes ist völlig verändert, und es erinnert nichts mehr an früher. Die Brücke ist neu erbaut. Von der Kirche steht nur die äußere Hülle, sie wird als Schuppen benutzt. Die Molkerei ist noch als solche in Betrieb. Wir konnten uns alles nur flüchtig ansehen und sind dann mit unserm Taxi zurückgefahren in Richtung des Nachbardorfes Lindnershorst (Uszballen). An der Kreuzung, wo einst das Gasthaus „Dörfer" stand, stiegen wir aus und marschierten zu Fuß weiter. Vereinzelte Häuser standen und waren auch bewohnt. Auf einer Milchbank wurde Brot verkauft. Das Gehöft von unserem Briefträger stand unversehrt da, sogar noch in gutem Zustand. Ein Stückchen weiter am Walde, das Haus von Richter mit einem schönen blühenden Gärtchen, ebenfalls im guten Zustand. Von der Poststelle ragte nur das Kellergewölbe aus den Brennnesseln heraus. Alles andere war dem Erdboden gleichgemacht. Das Haus gegenüber war unbeschädigt und bewohnt. Die Oberförsterei Lindnershorst (Uszballen) war völlig verschwunden, und von Wiesberger stand nur noch das Wohnhaus. Die Schule in Ballen (Beinigkehmen) ist erhalten geblieben, gegenüber stand ein schönes neues Haus. Von Bauernhof Günter ist nur das Wohnhaus und die Hälfte des Stalles übrig geblieben, aber dennoch bewohnt.

Auf ausgefahrenen Feldwegen und vorbei an verwüsteten Feldern gelangten wir nach Tuppen, wo wir einst als Kinder zur Schule gingen. Nun hatten wir die Orientierung gefunden und gingen querfeldein in die Richtung, wo unser Gehöft stehen musste. Einen Weg gab es nicht. Plötzlich wurde durch das Gestrüpp ein rotes Dach mit abgeschrägtem Giebel sichtbar, und wir hörten Hundegebell. Es war unverkennbar unser Haus. Vielleicht kann man uns nachfühlen, wie uns zumute war. Wir marschierten mutig drauflos. Als wir uns näherten, kamen drei Hunde mit lautem Gebell auf uns zu und hinterher ein alter Mann, der die Hunde zur Ruhe rief. Als wir den alten Mann begrüßt hatten, erklärte unsere Begleiterin den Grund unseres Besuches. Er war recht freundlich und erzählte uns, dass er auch nur als Gast da wäre. Seine Schwester und sein Schwager waren unterwegs, um Futter für die Tiere zu holen. Er brachte Stühle raus, damit wir uns setzen konnten, bot uns eine große Schüssel Äpfel an, die uns sehr erfrischten. Während sich unsere Begleiterin mit dem alten Mann unterhielt, sahen wir uns ein wenig um, denn uns interessierte doch alles. Es stehen nur noch das Haus und der Stall, aber auch schon ziemlich verfallen. Um das Gehöft herum waren Kartoffeln gepflanzt. Die anderen Felder lagen brach. Etwas weiter war ein großes Kornfeld sichtbar. Auf dem Hof waren zwei Kühe, eine Menge Schafe und Hühner. Zusammen haben wir dann das Dorf erkundet und festgestellt, dass im ganzen Ort nur vier Gehöfte: Sziburis, August Kalendruschat, Jack und Dussin /Tieck stehen, die alle bewohnt sind. Es war uns ein Rätsel, warum die massiven Bauernhäuser, zwei Gaststätten und die Schule nicht mehr existierten, aber unser Holzhäuschen noch stand.

So wurde das 1939 erbaute Haus von Dussin/Tieck vorgefunden

Inzwischen waren auch die Hausbesitzer eingetroffen, und wir durften unser früheres Haus von innen besichtigen. Es waren ältere Leute von 72 und 65 Jahren. Innen sah alles sehr ärmlich aus. Die Leute waren sehr gastfreundlich und haben uns eine Suppe, Brot und Äpfel angeboten. Wir haben die ganze Inneneinrichtung genau gemustert und stellten zu unserer größten Verwunderung fest, dass noch einige Möbelstücke aus unserm Besitz da waren. Der Herd in der Küche war noch der alte, und die Ofenbank aus Kacheln in der kleinen Stube noch erhalten. Die eine Hälfte des Hauses diente als Hühnerstall. Der Boden war voll Heu gestopft. Veranda, Scheune und Schuppen standen nicht mehr, dafür waren andere Bretterbuden aufgebaut.

Auf unsere Frage hin ob wir vielleicht irgendwo übernachten könnten, bot man uns den Heuboden an. Wir nahmen dieses Quartier gerne an, weil wir todmüde waren. Am nächsten Morgen frühstückten wir gemeinsam mit unsern Gastgebern. Wir hatten ausreichend Proviant mit und konnten sogar noch etwas verschenken. Durch Vermittlung unserer Begleiterin entspann sich ein recht freundschaftliches Verhältnis, und wir erfuhren auch, dass unsere Gastgeber aus dem Gebiet um Wolgograd (Stalingrad) vor 35 Jahren hier angesiedelt wurden. Wehmütig, aber auch innerlich befriedigt, nahmen wir Abschied von allem, was uns einst vertraut war. Am nächsten Tag fuhren wir ab Lindnershorst Uszballen) mit einem Bus nach Haselberg (Lasdehnen). Nun hatten wir Zeit, uns alles etwas näher anzusehen. Wir besuchten auch eine ehemalige Brieffreundin, die inzwischen verheiratet ist und uns bestens aufgenommen hat. Wir sollten unbedingt noch einen Tag dableiben, aber unsere Zeit war sehr knapp bemessen, und wir mussten schon am Nachmittag abfahren, sonst hätten wir den Zug nach Leningrad nicht erreicht.

Um Zeit einzusparen, besorgte uns unsere Freundin ein Privatauto, das uns nach Gumbinnen brachte. Hier stiegen wir in den Zug ein, der von Kaliningrad (Königsberg) kam und uns gut an unser Ziel brachte. Der Rückflug war schon gebucht, und so hatten wir noch einen Tag Zeit, um uns einige Sehenswürdigkeiten in Leningrad anzusehen. Wir waren froh, dass wir zeitlich alles so gut geschafft hatten; denn die Reise war sehr kurz. Unserer Gastgeberin sind wir großen Dank schuldig. Ohne ihre Begleitung wäre uns die Reise wohl kaum möglich gewesen. Sicher habe ich mit meinem Bericht auch bei Ihnen Erinnerungen wachgerufen und hoffe, Ihnen damit eine kleine Freude gemacht zu haben.

Geschrieben von Martha Sziburis, Gretel Krumpe (geb. Sziburis) und Tochter Kathrin Krumpe aus Großmonra/Thüringen.


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  1. Bericht aus dem Schloßberger Heimatbrief 1981, Seite 46, Genehmigung liegt vor
  2. Herausgeber Kreisgemeinschaft Schloßberg/Ostpreußen e. V. in der Landsmannschaft Ostpreußen e.V., Rote-Kreuz-straße 6, 21423 Winsen