Juden im Memelland

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Diese Seite gehört zum Portal Memelland und wird betreut vom OFB-Team Memelland.
Bitte beachten Sie auch unsere Datensammlung aller bisher erfassten Personen aus dem Memelland

<<< Memel
<<< Heydekrug

Memel Juden.jpg



Geschichte

"Die Zahl der Juden in Memel war im Anfange des 19. Jahrh. sehr klein. Im Jahre 1809 gab es zwei Schutzjuden: Aron Moses (Schutzbrief Berlin 16. Oktober 1777) und Simon Benjamin (Berlin 22. Oktober 1795), außerdem waren concessionirt seit 1790 die Wittwe des Garkoch Jakob Wulff und der Schlächter Moses Leyser; als fünfter wurde (Königsberg 24. Juli 1809) concessionirt Kallmann Chaim aus Ruß. Georgenburg. Für das Jahr 1814 sind bei den Memeler Juden nur 1 Geburt, 2 Trauungen (eine nach auswärts) und 2 Sterbefälle, für 1815 aber lediglich 2 Geburten verzeichnet - fast sämtlich in der Familie Behr Cahn. Im Jahre 1818 lebten im Kreise 35 Juden 1831: 49. Dann vermehrte sich die Zahl der Juden, welche sich in die drei Landsmannschaften der polnischen, russisch-litauischen und deutschen Juden theilten, deren jede ihr besonderes Bethaus hatte, und im Mai 1858 vereinigte die Regierung die jüdischen Einwohner in Stadt und Kreis zu einem Synagogenverbande und bestätigte die von der Repräsentanten-Versammlung in den Vorstand gewählten Kaufleute S.Seelig, S. Marcuse und Dr.med. J.Laaser; 1863 gehörten zum Vorstande Dr. Laaser, Meyer Levi, J.Liebenthal. Das endgiltige Statut der Gemeinde wurde 9.Mai 1862 bestätigt; sie zählte 1867: 887 Personen, 1875: 1040, 1880: 1214 Personen, verminderte sich dann aber in Folge der Ausweisungen. Erster Prediger war Perez Stadthagen, welcher 22.Juli 1865 starb; ihm folgten die Rabbiner Dr. J. Ruelf bis 1.April 1898 (wo er nach Bonn zog), seit 1872 auch Redacteur des "Mem.Dampfboot", vielfach literarisch thätig, Dr. Emanuel Carlebach bis 1904, Dr. Isaak Stein, welcher 1916 an einer Krankheit starb, die in Folge der Aufregungen und Strapazen bei der Flucht vor den Russen zum Ausbruch gekommen war."

"Aus den ersten Anfängen der Gemeinde erzählt Dr. Ruelf, daß weil in Memel ein Schächter fehlte, das Fleisch von geschächtetem Vieh aus den benachbarten russischen Städtchen über die Grenze geschmuggelt werden mußte, und daß die Leiche eines hier verstorbenen reichen jüdischen Holzhändlers aus Rußland, um beerdigt werden zu können, in der Art über die Grenze gebracht wurde, daß man den Todten bekleidet und aufrecht, mit einer brennenden Pfeife im Munde, in einen geschlossenen Wagen setzte, zwei Personen, ihn stützend, dicht neben ihm Platz nahmen und so der Transport unbeanstandet durch den Grenzcordon kam. (Dr. Ruelf, zur Geschichte der Juden in Memel, im Ersten Bericht der Israelit. Religionsschule, 1900, pg.9,10)"
[1], [2]


Geschichte von 1914-1945

Ruth Leiserowitz schreibt in einem Artikel über die Juden in Ostpreußen:

"... Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldeten sich viele Juden freiwillig ins Heer und an die Front. Sie fühlten sich als gute Deutsche und wollten gleichberechtigt mitkämpfen.

Aber hier im Grenzgebiet erlebten die Bewohner den Krieg als bittere Realität. Sie mussten vor den russischen Truppen fliehen, die bis in die Tiefe Ostpreußens vordrang und ganze Städte in Flammen aufgehen ließ. In Eydtkuhnen verloren viele Kaufleute ihren ganzen Besitz. Viele kehrten aus der Evakuierung nicht mehr zurück und siedelten sich im Reichsinneren an. In einige Städtchen, etwa in Gerdauen, kehrten nach dem Krieg nur zwei jüdische Familien zurück. Das Ende des Ersten Weltkrieges und der Versailler Vertrag brachten für Ostpreußen harte wirtschaftliche Konsequenzen. Die neue Insellage Ostpreußens führte zu verstärkter Isolierung und beförderte die Abwanderung. Die neugezogene Grenze an der Memel und die Abtrennung des nördlich davon gelegenen Gebietes erschwerten Handel und Gewerbe zusätzlich. Die große Nachbarstadt Danzig wurde ebenfalls wirtschaftlich und politisch abgetrennt. Das Reich konnte nur über den polnischen Korridor und später über den «Seedienst Ostpreußen» erreicht werden. Wirtschaftlich waren erhebliche Einbußen zu verzeichnen, denn die traditionellen Außenhandelsgeschäfte, die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit Russland getätigt worden waren, konnten von dem ökonomisch schwachen neuen Nachbarn Litauen nicht weitergeführt werden. So brach ein großer Teil des grenzüberschreitenden Handels zusammen. Aus diesen und nicht nur den allgemeinen wirtschaftlichen Gründen der Zwischenkriegszeit sowie den Begleiterscheinungen der Inflation nahm die Stärke der jüdischen Gemeinden in Ostpreußen und gerade in Königsberg ab. 1925 gehörten 4.049 Juden zur Gemeinde, die 1,4% der städtischen Bevölkerung darstellten. Nur drei Jahre später war die Anzahl der Juden bereits weiter auf 3.800 gesunken.

In Memel selbst florierte der Handel. Die Stadt, die jetzt Klaipeda hieß, erlebte in der litauischen Zeit einen Aufschwung. So ist es nicht verwunderlich, dass auch viele jüdische Händler vom Land in die Stadt zogen, um hier Geschäfte aufzubauen. 20% der Unternehmen und 25% der Geschäfte im Memelland gehörten jüdischen Bürgern. Im Memelland lebten neben deutschen Juden auch viele litauische, die nach dem Anschluss des Gebietes gerade aus Kaunas zugezogen waren. Die litauische Regierung förderte die Ansiedlung von Juden in der Stadt, da sie hoffte, dadurch ein Gegengewicht zum deutschen Einfluss zu schaffen. So existierte im Memel der Zwischenkriegszeit deutlich ein ostjüdisches Milieu neben dem deutsch-jüdischen. Den Angehörigen des letzteren war nicht immer bewusst, dass ihre Vorfahren auch erst vor wenigen Generationen über die Grenze zugewandert waren.

Ab 1933 kamen zu den bisherigen eher positiven Erfahrungen neue negative hinzu. In Deutschland begann die Ausgrenzung der Juden. Zwischen 1933-1939 wanderten viele Juden aus Ostpreußen aus, darunter 3.000 Königsberger Bürger. Sie fanden Zuflucht in Palästina, Südafrika, Südamerika und Schanghai. Der Grenzübertritt und mit ihnen der jähe Wechsel der Lebenslaufperspektive brachte ihnen neue Erfahrungen. Im Nachhinein stellte sich der Aufenthalt in der preußischen Provinz für viele Familien nur als ca. 50 bis 70-jähriger Transit dar, quasi als die «deutsche Episode». Andere zögerten noch, Deutschland zu verlassen. Immerhin lebten ihre Familien schon über 300 Jahre in Deutschland.

Viele Juden, die in Dörfern oder Kleinstädten lebten, flohen vor der zunehmenden Bedrohung und Ausgrenzung in die Anonymität der Stadt. Wer aus dem Dorf kam, ging häufig nach Königsberg, wer in der Stadt gelebt hatte, suchte in Berlin Unterschlupf. Als das Memelland im Frühjahr 1939 durch das Ultimatum von Hitler wieder an das Deutsche Reich angeschlossen wurde, flohen viele jüdische Einwohner in das benachbarte Litauen. Oft fanden sie Unterschlupf bei entfernten Verwandten oder gingen in die Orte, aus denen ihre Vorfahren stammten. Von dort gab es keine weitere Fluchtmöglichkeit mehr. Die Einsatzgruppe A ermordete im Sommer des Jahres 1941 die Mehrheit der litauischen Juden und mit ihnen die jüdischen Flüchtlinge aus Ostpreußen. Genaue Unterlagen lassen sich dazu jedoch nicht finden. Ende August 1941 lebten noch etwa 2.000 Juden in Ostpreußen. Im Juni 1942 setzten hier die Deportationen ein, die soweit bekannt nach Theresienstadt, Auschwitz und Minsk gingen und über die nur wenige Dokumente existieren. ..." [3]


Auf der Web-Seite "Juden in Ostpreußen" [4] ist folgender Bericht über jene Zeit zu lesen:

Heydekrug 1941-1943

"Ende Juni 1941 bzw. im Juli verschleppten Angehörige der 20. SS-Reiterstandarte, des SS-Reitersturms 2/20 und des Allgemeines SS Sturmbann II/105 unter Leitung des SS-Unterscharführers Werner Scheu aus Heydekrug Juden aus Sveksna, Veivirzeniai, Kvedarna, Laukova, Naumiestis, Vainutas und anderen Orten in verschiedene Arbeitslager im Landkreis Heydekrug (…). Die nicht arbeitsfähigen Juden wurden später erschossen. Lager bestanden in Piktaten, Meischlauken, Matzstubbern, Bewern, Schillwen und Wersmeningken.

In der Stadt Heydekrug gab es ein Lager an der Jahnstraße und ein weiteres auf dem Hinterhof der Bürgermeisterei, das später in die Markthalle verlagert wurde. Das Lager Jahnstraße lag in der Nähe der Szisze (eines kleinen Flüßchens) und des Rabenwaldes und bestand aus einer größeren Baracke, in der früher französische Kriegsgefangene untergebracht waren.

Das Lager auf dem Hinterhof des Bürgermeisteramtes bestand ebenfalls aus einer Baracke. Hier waren die bei der Stadtverwaltung beschäftigten Juden untergebracht. Sie wurden zu Arbeiten auf dem Sportplatz, in der städtischen Gärtnerei, auf dem Stadtgut Heydekrug-Matzicken und zur Reinigung der Straßen und Parkanlagen eingesetzt. Später wurden die Juden, die bei der Stadtverwaltung beschäftigt waren, in die Markthalle verlegt.

Die Mehrzahl der jüdischen Zwangsarbeiter wurden auf verschiedenen Baustellen außerhalb der Stadt Heydekrug beschäftigt.

In Ramutten wurden im Sommer 1941 etwa 20 bis 30 Juden bei Drainagearbeiten eingesetzt. 40-60 Juden waren in dem Dorf Piktaten und bei Paszieszen mit Straßenbauarbeiten beschäftigt. Ein großer Teil der Juden mußte in verschiedenen Orten Torf stechen.

Die Juden des Lagers Wersmeningken arbeiteten ebenfalls im Straßenbau, außerdem mußten sie den Kies abstechen und verladen. In Matzstubbern und Ullosen (südl. Coadjuthen) wurden etwa 100 jüdische Zwangsarbeiter beim Bau eines Entwässerungskanals verwendet. Im Winter mußten sie den Schneee von den Landstraßen räumen und auf der Bahnstation Stonischken Güter entladen. Koch und Sanitäter in diesem Lager war Julius Smolianksi, der früher ein Salamander-Schuhgeschäft in Heydekrug besessen hatte.

Im Sommer 1943 wurden diese illegal eingerichteten Arbeitslager aufgelöst und die Insassen nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Es folgte eine weitere Lager-Odyssee. Nur wenige überlebten.

In Yad Vashem sind fünf Zeugenaussagen von Überlebenden vorhanden. Der Bericht von Gerson Young ist unter folgendem Link abrufbar: [5]

1964 gab es zu diesen Verbrechen einen Prozeß vor dem Landgericht Aurich, 1965 vor dem Bundesgerichtshof. Die Angeklagten Werner Scheu und Karl Struve erhielten lebenslängliche Freiheitsstrafen.

In der Handschriftenabteilung der Bibliothek der Akademie Vilnius befinden sich Unterlagen aus der Anfangsphase der Lager, die u. a. Verzeichnisse von Häftlingen und Bewachern enthalten. Diese Unterlagen bedürfen einer Aufarbeitung. (Einige Lager sind mehrmals aufgelistet worden, in anderen existieren Streichungen, die entschlüsselt werden müssen, ferner sind teilweise auch nichtarbeitsfähige Insassen aufgelistet worden.) …" [4]


Nachtrag:
Dr. Werner Scheu, Enkel des Rittergutbesitzers Hugo Scheu auf Adlig Heydekrug, lebte nach Kriegsende auf der Insel Borkum, wo er u. a. ein Kindersanatorium leitete und Amtsarzt war.
Scheu wurde 1961 und 1964 in zwei Schwurgerichtsprozessen zu 6 bzw. 10 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Der 5. Strafsenat des BGHs hob beidesmal das Urteil auf und verhängte letztlich im August 1965 eine lebenslange Zuchthausstrafe für Scheu.

Erinnerungen

Israel Behr, Wiesenstraße 8, Memel

  • "Das Lernen am Gymnasium verlief glatt. Ich hatte einen guten Leistungsstand. Das Verhältnis der Lehrer zu den jüdischen Schülern war loyal."
  • "In Memel gab es auch einen Sportklub "Bar Kochba". Der Klub gehörte zur Vereinigung Makkabi. Dort wurde viel Sport getrieben, selbstverständlich Tischtennis, Leichtathletik zweimal wöchentlich im Stadion, Fußball, Gymnastik einmal wöchentlich in der Halle. Die Seele der Organisation war Benno Katz, ein Freund unserer Familie. Familie Katz ist nach Kanada ausgewandert, wo Benno meines Wissens noch heute lebt. Champion Litauens im Tischtennis war Jephim Chaim Duschkes. Er war ein Neffe unserer Familienfreunde Krokin und wohnte in Kaunas. Als er in Memel war, spielte ich mit ihm. Richtiger wäre zu sagen, dass er, trotz des kolossalen Unterschiedes zwischen uns, mit einem Spiel mit mir einverstanden war und ich bekam von ihm viele nützliche Ratschläge."
  • "In der zweiten Hälfte der 30er Jahre gab es keine Kontakte zwischen deutschen Sportklubs und "Bar Kochba". Wir veranstalteten meistens Wettkämpfe mit dem litauischen Sportklub KSS, dem Sportklub des litauischen Regiments."
  • "1936 oder 1937 kam das berühmte Theater aus Tel Aviv "Habima" mit einem Gastspiel nach Memel. Die Schauspieler waren Immigranten aus Russland und Schüler des berühmten Regisseurs Stanislawski. Sie führten zwei Theaterstücke auf: "Kurzer Freitag" nach der Erzählung von Ch. N. Bialik und das klassische jüdische Schauspiel "Der Dibuk". Die Eltern nahmen mich zu den Abendvorstellungen mit, die alle sehr beeindruckten. Ich erinnere mich nicht mehr, in welcher Sprache die Stücke aufgeführt wurden. Ich glaube, auf Hebräisch, da die Schauspieler kein Deutsch sprachen und Russisch hätte ich nicht verstanden. Auf Hebräisch konnte ich mich schon unterhalten, leider habe ich die Sprache inzwischen fast vergessen. In Memel wurde noch sehr lange über diese Aufführungen gesprochen."
  • "Ich nehme an, dass ich bis 1934 die kommende nationale Katastrophe nicht richtig verstand. Als einziger jüdischer Schüler in der Grundschule fühlte ich mich nicht bedrängt. Wenn Weihnachtslieder erlernt wurden, war ich immer in der Klasse anwesend, aber niemand drängte mich mitzusingen. Als ich ins Gymnasium kam, hatte sich die Lage schon geändert. Wir jüdischen Jungen waren eine abgesonderte Gruppe, obwohl wir mit vielen deutschen Jungen freundschaftliche Beziehungen pflegten. Der Einfluss des nazistischen Deutschlands war 1934 schon spürbar. Es kamen immer mehr Flüchtlinge aus Deutschland nach Memel. Das war sicher nicht die beste Entscheidung. Schon damals hätte man ahnen können, dass Memel in Kürze von den Deutschen okkupiert werden würde. Die meisten flohen nach Memel, weil sie dort Verwandte hatten. Unter ihnen war mein Freund Erich Jaffee".
  • "1938 wurde die Lage sehr beängstigend. Beim Zusammensein meiner Eltern und ihrer Freunde gab es immer Gespräche darüber, ob man die Stadt nicht lieber verlassen sollte. Es war eine schwierige Frage. Wohin sollte man fahren? Ein neues Unternehmen in Litauen zu gründen, war kompliziert und auch keine absolut sichere Zukunftsperspektive."
  • "Ich erinnere mich: Am 3 1.10. 1938 spazierte ich auf der Liebauerstraße mit einer Gymnasiastenmütze. Zu mir kam ein älterer Schüler unseres Gymnasiums, riss mir die Mütze vom Kopf, zertrat sie und schrie: "Es ist eine Schande, dass ein Mitschüler, der Jude ist, die Mütze unseres Gymnasiums trägt." Mit Fäusten drohte er mir, ich solle die Mütze ja nie wieder aufsetzen. Die Passanten lächelten nur. Morgens am 1.11.1938, als wir ins Gymnasium kamen, waren alle freudig erregt. Aus gegebenem Anlass war der Schulunterricht abgesagt worden, stattdessen durften wir spazieren gehen. Wir, acht jüdische Jungen, schlossen uns an und liefen wie alle in Richtung des Stadions. Der Lehrer hatte uns angeblich nicht bemerkt und wir blieben zurück. Zum Schluss drehten wir uns um und kehrten zur Stadt zurück. Der Weg führte durch eine Fischersiedlung (Bomelsvit). Dort erkannte man uns als Juden, bewarf uns mit Steinen und schrie: „Juden raus!". Wir gingen nur noch zwei Wochen zur Schule."
  • "Am 1.11.1938 besuchten acht jüdische Schüler unserer Klasse das Gymnasium....Herman Berlowitz hat das Ghetto überlebt und wohnt jetzt in Tel Aviv. Wir trafen uns 1996 wieder. Hirsch Grodberg wurde evakuiert und wohnte nachher in Vilnius. In den 1980er Jahren wanderte er nach Deutschland aus... Er starb 1995 in Soest. Aron Gurewitch kam 1941 im Holocaust in Palanga um. Don Gordon war in der Zeit des Krieges evakuiert worden und wohnte später in Leningrad und Karelien. Ich konnte ihn leider nicht wiederfinden. Schüler waren außerdem: Leo Elijasch (sein Schicksal ist mir nicht bekannt) und Max Dondes (auch sein Schicksal ist mir nicht bekannt) sowie Sigmund Goldin. Ich habe gehört, dass er angeblich in Afrika (Rhodesien) wohnte. Mehr ist mir nicht bekannt. Die Schüler der Oberprima legten das Abitur und die letzte Prüfung am 15.3.1939 ab. Unter ihnen war mein älterer Freund Abi Spitz, dem es gelang in die USA auszureisen. Er wurde Flieger der U.S.Air Force und kam gegen Kriegsende ums Leben. Im Unterricht ignorierte man uns und in den Pausen bespuckten, stießen und verpönten uns kleine Knirpse, die vier bis fünf Jahre jünger waren. Der Aufsichtslehrer bemerkte angeblich nie etwas, aber als jemand von uns sich verteidigen wollte, empörte sich der Lehrer und beschimpfte uns: "Schämst du dich nicht, Kleine zu schlagen?" Aber das Wort Jude erwähnte er nicht...Die Lage wurde unerträglich und Mitte November 1938 verließen alle jüdischen Schüler, mit Ausnahme der Abiturienten, das Gymnasium.

Quelle:[5]


"Arisierungen" ab 1939

In den Adreßbüchern der Stadt Memel finden sich im Jahrgang 1942 verdächtige Einträge wie Deutsche Allgemeine Treuhand-G.m.b.H, aber auch Stadtverwaltung Memel unter den Eigentümern. Ein Blick auf die Eigentümer im Jahre 1935 zeigt, daß häufig Juden die ehemaligen Besitzer waren, deren Besitz vom Reich oder der Stadt nach der Wiedervereinigung mit Deutschland 1939 in Beschlag genommen worden ist (Arisierung). Beispiel Friedrichsmarkt.

Hierzu auch: „Erich-Koch-Stiftung“: Der ostpreußische Gauleiter Koch hatte im Zuge der „Arisierung“ sämtliche Vermögenswerte der Juden in Ostpreußen in diese Stiftung eingebracht, eine allein von ihm kontrollierte Staatsholding. In Memel gab es einige wirtschaftliche Komplexe, darunter eine Textilfabrik (vermutlich Inh. Feinberg), mit allem Zubehör, zu der eine Strandvilla in Sandkrug gehörte. Mehr dazu ... Quelle: [6]


Erklärung von Reinhold von Saucken

Reinhold von Saucken hatte die Stellung des deutschen Generalkonsuls in Memel inne. 1949 vor der Hauptspruchkammer in München:

"...Ich darf aber auch ferner darauf verweisen, dass alle die deutschen Menschen, die jetzt bei der Entnazifizierung richten wollen, die Judenverfolgung vom 9.November 1938 nicht ungeschehen machen konnten, während mein Einfluss im Memellande in der gleichen Zeit und gegenüber dem gleichen Nationalsozialismus diesen Juden Schutz und Sicherheit geboten hat: Keinem Juden wurde auch nur ein Haar gekrümmt, selbst dann nicht, als das Vorbild im deutschen Nachbarlande einen Anreiz zur Nachahmung bot. Sie sind vielmehr alle in Ruhe und Frieden ihren Geschäften nachgegangen und haben erst einige Tage vor der Rückgliederung das Memelgebiet verlassen. Ein etwaiger Einwand, dass doch vor allem die litauische Staatsautorität die Juden geschützt habe, ist unzutreffend, da diese Staatsautorität seit der litauisch- polnischen Spannung im Frühjahr 1938 praktisch nicht mehr bestand und im Juli/August 1938 nicht einmal mehr die eigene Bevölkerung gegen die Übergriffe der Hitlerjugend im Memeler Hafen schützen konnte. .... Zum Schlusse darf ich noch auf eines hinweisen: Es besteht wohl kaum ein Zweifel, dass im Mittelpunkte aller Vorwürfe, die man dem Nationalsozialismus zu machen hat, die Behandlung der Judenfrage steht. Alle meine deutschen Landsleute innerhalb des alten Reichsgebietes, und wenn sie ihre Opposition gegen Hitler mit dem Konzentrationslager oder noch höheren Opfern bezahlten, haben den Juden nicht helfen können. Demgegenüber steht die Tatsache, dass im Memellande, soweit und solange mein Einfluss dort etwas galt, die Juden geschützt wurden sogar weit über den kritischen Zeitpunkt vom November 1938 hinaus. Es ist daher eine eigenartige Lage, dass ich mich unter solchen Umständen überhaupt noch zu verantworten habe. Und wenn ich mich heute dem Säuberungsgesetze und seinen Bestimmungen beuge, so tue ich es deshalb, weil letzten Endes die Autorität meines Volkes hinter ihnen steht. Ich beantrage jedoch einen Freispruch, der zum Ausdruck bringt, dass der sachliche Inhalt dieses Gesetzes mich nicht berührt.


Juden in Memel

David.jpg

Bearbeiter: Holger Schimkus

Die Juden waren bereits im 15. Jahrhundert in Memel zu finden. Erstes gefundenes Dokument über eine jüdische Präsenz in der Stadt stammt von 1567. Am 20. April 1567 erließ Graf Albrecht unter dem Einfluss der Priester einen Befehl, wonach alle Juden innerhalb von 21 Tagen Memel zu verlassen hatten. Die nächsten 76 Jahre sollte es so bleiben. Es wurde für Juden verboten in Memel zu leben oder sogar über Nacht dort zu bleiben. Erst im Jahre 1643, als sich der Verkehr und Handel in der Stadt entwickelte, war es den jüdischen Kaufleuten erlaubt, in der Stadt zu bleiben. Kamen sie an Freitagen in die Stadt und insbesondere während der kurzen Wintertage, durften sie über Sabbat bleiben, aber am Sonntag hatten sie Memel wieder zu verlassen. In jenen Tagen galt die aus dem Jahr 1613 erteilte Regel, wonach es für einen Bürger oder Händler Memels verboten war, offene oder verborgene Kontakte mit Juden zu haben, weil das Judentum im Gegensatz zum Christentum stand und nicht ernst genommen wurde.
Im Jahre 1662 erteilte Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg Privilegien an mehrere Juden. Er wollte den Handel mit Memel erweitern. Diese Privilegien beinhalteten die Erlaubnis sich in der Stadt niederzulassen.
Einer von ihnen war ein niederländischer Jude namens Moshe Jacobson de Jonge (Der Jüngere), ein Genie in Bezug auf den Handel. Er ließ sich im Jahr 1664 in Memel nieder. (Literatur hierzu: Churfürstliches Privileg vom 15ten Dec. 1674, dass Moyses Jacobson in Memel wohnen und Handel treiben darf [6]) Er entwickelte den Handel mit Holz, Pelze und vor allem mit Salz, organisierte Reedereien und gründete eine Werkstatt für Reparaturen und den Bau von Schiffen. Er erhielt die Erlaubnis, jüdische Arbeiter zu beschäftigen, unter ihnen ein Schlachter und ein jüdischer Lehrer für seine Kinder. Es wurde ihm auch erlaubt, einen Gebetsraum in seinem Haus einzurichten.
Nach mehreren Jahren erfolgreicher Tätigkeit verlor Moshe Jacobson sein ganzes Vermögen als Folge von zu vielen Spekulationen mit Salz und war gezwungen, mit allen seinen Mitarbeitern nach Holland zurückzukehren.
Juden wurde der Zugang zu Memel für viele weitere Jahre verboten, und sie durften nicht einmal die Waren dort verkaufen. Dieses Verbot wurde einmal im Jahr öffentlich proklamiert, und bis 1670 wurden diese amtlichen Mitteilungen an kommunalen Gebäuden angeschlagen. Es war den jüdischen Kaufleuten nur während der jährlichen Messe erlaubt, Ware aus Litauen und Russland, wie landwirtschaftliche Erzeugnisse und teure Pelze zu importieren, und deutsche Ware zu kaufen. Die Messe wurde im Sommer veranstaltet und dauerte 14 Tage. Unter den Käufern waren die reichen polnischen Landwirte und Freiherren von Kurland. Während des Krim-Krieges, als Russland auf allen Seiten mit Ausnahme der Grenze zu Preußen geschlossen war, wurden 14.248 Juden auf der Messe von 1854 registriert. Ein besonderes Handelsgut der russischen Kaufleute waren hebräische Bücher die während der Messen verkauft wurden. Darunter der "Talmud" und rabbinische Literatur, wenn sie in Deutschland gedruckt waren oder aus privaten Bibliotheken der deutschen Juden stammten, die sie nicht mehr brauchen.
Der Markt für hebräische Bücher entwickelte sich durch die wenigen jüdischen Druckmaschinen in Russland sowie die von Zensur verursachten Schwierigkeiten. Im Jahre 1720 erhielt J. M. Friedländer die Erlaubnis, hebräische Bücher auf der Messe zu verkaufen. Nach einiger Zeit eröffnete Avraham Goldberg, ein jüdischen Verleger aus Berlin, eine Buchhandlung auf der Messe. Als Rabbiner Seminare in Deutschland eingeführt wurden, nahm der Bedarf für religiöse Bücher zu und der Buchhandel in Memel hörte auf. Nach dem polnischen Aufstand 1863 und der Bau der Eisenbahn nach Memel verlor der Handel seine Bedeutung.
Das System von Privilegien für die "geschützten" Juden (Schutz Juden) war weit verbreitet, auch in den Zeiten des liberalen König Friedrich der Große (1740-1798).
Als im Jahre 1777 der jüdische Philosoph Moses Mendelsohn Memel wegen einer geschäftlichen Angelegenheit besuchte, blieb er in Königsberg, weil er nicht die Erlaubnis bekam, in Memel über Nacht zu bleiben. Erst zu Beginn des 19.Jahrhunderts hat die liberale Gesetzgebung der Stein-Hardenberg die Aufhebung der strengen Beschränkungen bewirkt. Die seit dem Mittelalter gegen die Juden gerichteten Beschränkungen waren nun vorbei. Trotzdem sollten noch einige Jahrzehnte vergehen, bis sich preußische Juden in Memel, in der letzten Ecke des Königreiches niedergelassen haben und weit entfernt von den Hauptverkehrsadern sich ein normales Miteinander entwickelte.Im Jahr 1815 gab es bei einer Bevölkerung von etwa 10.000 Menschen nur 35 Juden in Memel. Russischen Juden, die für ihre Unternehmen nach Memel kommen wollten, konnten das nicht wegen des Mangels an Bethäuser und andere religiöser Institutionen. Die Nutzung der vorhandenen Einrichtungen war nur Juden mit preußischer Staatsbürgerschaft erlaubt. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr russische Holzhändler vor den hohen Feiertagen nach Memel um bis Januar dort zu bleiben. Sie kamen mit dem Wagen und sogar mit Wagen und mit Pferden bespannt in der Stadt und brachten Köche und Metzger mit sich. Auch brachten sie Geflügel mit, während Fleisch, Schafe und Rinder aus der Nähe von Städten Litauens nach Memel geschmuggelt wurde. Ber Cohen mit seinen drei Söhnen Yosef, Aharon und Shmuel waren die ersten jüdischen Familie die die Einbürgerung für Memel erhielten. Sie brachten den Schächter Yosel Vald, mit an ihren neuen Wohnsitz. Sie alle stammten aus der litauischen Stadt Tavrig (Taurage). Einige Jahre später übergab Herr Vald seine Tätigkeiten an seinen Schwiegersohn Yeshaiah Wohlgemuth, der nach einiger Zeit Rabbiner wurde. Später wurden die Söhne Yosel Vald zu bedeutenden Mehl und Holzhändler.

Rabbiner Jeschaja Wohlgemuth
    • Wohlgemuth, Jessaja, *10.6.1820 in Kuruzovo (Neustadt-Schirwindt), Russ.-Polen nahe der ostpreussischen Grenze, +31.12.1898 in Hamburg. Er war Mitschüler von Israel Salanter bei dessen Vater Moses Salanter. 1838 wurde Wohlgemuth als 18jähriger ordiniert und im selben Jahr als Rabbiner in Memel eingesetzt, wo er 44 Jahre wirkte. Seine Zivilgerichtsbarkeit wird von den Juden (und wie es heißt, auch von Nichtjuden) freiwillig in Anspruch genommen. Er gründete am Ort einen Talmudverein und hält eine Jeschiwa, die von russischen Juden besucht wird. [7]

Im Jahr 1855 gab es 289 Juden in Memel, und im Jahre 1867 ist die Zahl sogar auf 887 gestiegen. Im Jahr 1856 wurden in Memel 11 jüdische Kinder (9 Jungen und 2 Mädchen) geboren und eines starb.
Im Jahr 1857 wurden 16 Kinder geboren (7 Jungen und 9 Mädchen), 3 von ihnen starben.
Bevor in Memel ein jüdischer Friedhof gegründet wurde, kamen die in Memel verstorbenen Juden von ihren Angehörigen in eine der Städte in Preußen und begruben sie dort. Wenn auch mit großen Schwierigkeiten verbunden, auch in einer der litauischen Städte.

Die Geschichte besagt, dass ein jüdischer Kaufmann, der plötzlich in Memel starb, für die Beerdigung in seinem Mantel und einer Pfeife im Mund auf einen Wagen sitzend, mit Begleitpersonen auf beiden Seiten nach Litauen überführt wurde.

Im Jahre 1858 forderte die preußische Regierung die Vereinigung der russischen und deutschen Gemeinden in Memel. Nach einem preußischen Gesetz vom 23. Juli 1847 wurde die Autonomie der Juden erteilt. Alle Juden gehörten zur Gemeinschaft und mussten Steuern zahlen. Grundlage war das Einkommen, das zu einem gewissen Prozentsatz versteuert wurde. In einigen Fällen wurden die Steuern durch die Polizei abgeholt. Wer die Einkommensteuer nicht zahlte, wurde auch von der Zahlung der Steuer an die Gemeinde befreit. Die Gemeinde wurde von einer Versammlung von Vertretern der 16 Personen, die für 6 Jahre gewählt wurde, geleitet. Die Versammlung wählte den Gemeindeausschuss von 3-5 aus ihren Mitgliedern, die in Gemeinschaftsangelegenheiten zur deutschen Verwaltung und Regierung Kontakt zu halten hatte. Die Gemeinschaft wurde offiziell am 9. Mai 1862 genehmigt, ebenso wie die Regelungen der "Chewra Kaddischa". Aber in der Tat existierten weiterhin zwei verschiedene Gemeinden. Russische Juden und Juden in Deutschland, und jeder von ihnen mit ihren eigenen religiösen und bildungspolitischen Fragen. Die Mitglieder der ersten Ausschusssitzung wurden Dr.Lazar, S. Glazer und Meir Levi, und später kamen Kon Moritz und Julius Abelman dazu. Bis 1900 waren Dr. Lazar, Julius Hirsch, Dr. Fürst, J. Levental, S. Borchardt und Leopold Alexander Vorsitzende des Ausschusses.
1875 wohnten 1.040 Juden in Memel
Die Beziehungen zwischen den Juden in Memel und ihre christlichen Nachbarn waren in der Regel normal. Trotzdem wurden die Juden nicht in kommunalen und gewerblichen Institutionen beschäftigt. Aufgrund der Tatsache, dass die Antisemiten nicht gegen den preußischen Juden ankämpfen konnten, die gleiche Rechte hatten, planten sie gegen die Juden, die nicht über preußische Staatsbürgerschaft verfügten und vertrieben sie im Jahr 1880 aus der Stadt. Die Zahl der Ausgeschlossenen erhöhte sich von Jahr zu Jahr bis 1885, als die Regierung eine Anordnung veröffentlichte, dass alle ausländischen Bürger Memel vor dem 15. Oktober des gleichen Jahres in kurzer Zeit zu verlassen haben. Unter den Menschen, die von dieser Regelung betroffen wurden, waren Juden. Sie lebten 20 und sogar 40 Jahre in Memel, hatten sich aber nie die preußische Staatsbürgerschaft beantragt. Es wäre leicht gewesen, sie zu erhalten. Nach einer Quelle sind danach nur etwa 200 Juden in Memel geblieben. Der Mann, der sehr aktiv war bei der Verhinderung dieses harten Dekrets wurde der Rabbiner von Memel Dr.Yitzhak Rülf (1834-1902), der viele Menschen in Berlin kontaktierte, aber nur Kanzler Bismarck helfen könnte. Der Rabbi wandte sich dreimal an Bismarck was zu einem Kompromiss führte, wonach die Stadt eine Liste der jüdischen Kaufleute aufzustellen hatte, die in Memel Handel treiben würden und diesen Menschen ein Bleiberecht einzuräumen. Durch die Rückführung eines Teils der russischen Bürger von Memel in den Jahren 1880-1886 ging die Zahl der Juden von 1214 (Jahr 1880) bis auf 861 im Jahr 1890 zurück. Etwa 100 Familien, jüdische Kaufleute aus Litauen, blieben in Memel und diese wurden zu den wichtigsten Menschen in der Stadt. Sie hielten die Handelsbeziehungen mit Russland aufrecht. Aber die Rechte der Juden waren eingeschränkt und sie standen unter ständiger Aufsicht der Behörden.
Über 700 Personen, Männer, Frauen und Kinder, wurden aus den Kreisen Memel und Heidekrug (Silute in litauischer Sprache) vertrieben. Von denen waren die meisten Arbeiter und Handwerker. Viele von ihnen konnten aus verschiedenen Gründen nicht in ihre russische Heimat zurück und es wurde notwendig, ihnen bei ihrer Emigration nach Übersee zu helfen.

  • Die alte Stadt Memel, Friedrichsmarkt (1915)
    Friedrichsmarkt

Vor allem jüdische Kaufleute wohnten in diesem Quartier. Als der 1. Weltkrieg im Jahre 1914 begann wurde eine Verordnung erlassen, dass alle jüdischen Bürger Russlands innerhalb einer Woche nach Rügen vertrieben werden sollen. Die jüdische Gemeinde, das lokale Handels-Büro, Bürgermeister der Stadt und dem Gouverneur der Region bemühten sich um die Eindämmung dieses harten Dekrets. Als Ergebnis kam heraus, dass jeder Jude in der Lage war, eine Bürgschaft vorzulegen und eine Empfehlung von zwei deutschen Staatsbürgern, die zeigten dass er kein Spion war. Unter diesen Bedingungen durfte die Jüdische Familie in der Region verbleiben. So sind die meisten der "Fremden" von der Vertreibung verschont geblieben.

Bildung und Religion

Die erste religiöse Institution für Juden in Memel etabliert war der Friedhof, wo im Jahre 1823 die ersten jüdischen Verstorbenen begraben wurden. Im Jahre 1835, auf Initiative und mit dem Management von Mordechai Vazbutzky und Meir Lifshitz, wurde die "polnische" Synagoge und die "Mikwe" für die reichen Holzhändler aus Polen und Russland gebaut, die während der Herbstmonate in Memel lebten. Die Synagoge wurde auch für die hohen Feiertage genutzt. Für vierzig Jahre stand S. Bloch an der Spitze dieser Synagoge. Er war auch in der Gemeinde aktiv. Rabbi Dr.Yitzhak Rülf, der in Memel als Rabbi der deutschen Gemeinde von 1865-1898 diente, war der Initiator und in allen Bildungs-, Kultur-und Wohlfahrtsarbeit in der Stadt in diesen Jahren beteiligt. Vor der Gründung der autonomen Gemeinschaft nach preußischen Recht, studierten jüdische Kinder, die russische Staatsbürgerschaft besaßen, bei einem "Melamdim" (Tora Lehrer), vor allem die aus Litauen kamen. Die Reichen beauftragten einen Privat - "Melamed" (Lehrer für Kleinkinder) für ihre Kinder, die weniger Reichen beschäftigten einen "Melamed" für zwei oder drei Familien und die "Armen" und schickten ihre Kinder auf eine "Cheder" (religiöse Schule), die meist von der Gemeinde und den Eltern bezahlt wurden und nur eine kleine Summe für die Finanzierung erforderte.
Erst zu Beginn der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts haben die Juden begonnen, ihre Kinder auf öffentliche Schulen zu schicken. Im Jahre 1879 gründete Rabbi Rülf eine Schule für arme Kinder (Armenschule), von denen die meisten keine Möglichkeit hatten, auf anderen Wegen eine Bildung zu erhalten. Der Ausschuss für die Unterstützung russischer Juden in Berlin hatte 50.000 Mark für die Erhaltung dieser Volksschule gespendet. Die Behörden akzeptierten die Ausbildung in Hebräisch und ihre Grammatik, Deutsch, Mischna und Talmud, die an dieser Schule gelehrt wurden. Am Anfang waren die Bedenken gegenüber dieser Schule groß. Viele Juden Memels verhielten sich reserviert und hatten Sorgen, da sie das Wachstum eines jüdisch-russischen Proletariats in der Stadt befürchteten. Ein geeignetes Gebäude für die Schule wurde mit Hilfe einer großen Spende der Freifrau von Hirsch von Paris errichtet. Im Jahr 1898 verließ Rabbi Dr.Y.Ruelf Memel und Rabbiner Dr. Imanuel Carlebach wurde sein Nachfolger. Dann richtete die Gemeinde eine "religiöse Schule für jüdische Kinder" ein. Die Israelitische Religionsschule, bestehend aus zwei Klassen für Jungen und zwei für Mädchen. Viele reiche Eltern initiierten die Gründung einer privaten religiösen Schule und waren bereit, es zu finanzieren. Die Schule hatte vier Klassen für Jungen, fünf für Mädchen und eine gemeinsame vorbereitende Klasse. In der Vorbereitungsklasse lernte man für ein Jahr und in den anderen Klassen, für zwei Jahre. Die Lehrer in den oben genannten Schulen waren: Dr. I. Carlebach (Direktor), Heinemann, Dobrowolski, Berman, Frau Carlebach und Frau Gitkin. In dieser Schule wurde Hebräisch, Bibel, Mischna und Talmud unterrichtet. Diese beiden Schulen wurden unter der Aufsicht durch einen Ausbildungsausschuss der Gemeinde gestellt, dessen Mitglieder S. Bloch, Moritz Cohen, A. Aizenstadt, Dr. med. Hurwitz waren.

Alltägliches Leben

Memeler Dampfboot - 1923

Die Bedürfnisse der jüdischen Einwohner Memel (und nicht nur dort) unterscheiden sich in manchen Punkten von den Gewohnheiten der übrigen Religionsgemeinschaften. So beinhaltet die Tora u. a. Regeln, die für die Zubereitung von reinen Lebensmitteln einzuhalten sind. Fleisch z. B. gilt dann als koscher, wenn die Tiere zweigespaltene Hufe haben und Wiederkäuer sind.

Koschere Produkte wurden mit כשר gekennzeichnet - Anzeige Juli 1925

Schweinefleisch ist trotz der gespaltenen Pfoten nicht koscher. Schweine sind keine Wiederkäuer. Die hier gezeigte Annonce bietet dem jüdischen Verbraucher im Sinne der Regeln sauberes Rindfleisch an. Ein Rabbiner hat die Einhaltung der jüdischen Speiseregeln zu überwachen. Mehr dazu nachzulesen in Wikipedia Speisegesetze . In der Baderstraße Nr. 3 in Memel wohnte nach dem Adressbuch Memel von 1898 Herr Eppelmann, ein Schächter und Besitzer des Hauses. Im hinteren Bereich des Grundstücks fanden die Schächtungen statt. Herr Lewin, ein Kaufmann, kaufte das Anwesen nach 1926 und wird im Adressbuch 1929 als Eigentümer aufgeführt. Ob Lewin Schächter war, kann nicht gesagt werden. Nachforschungen, hinsichtlich der Weiternutzung dieser Räume, werden entsprechende Erkenntnisse liefern.

Anzeige von 1925



Neben den Kindergärten der christlichen Kirchen hatte die jüdische Bevölkerung auch ihre Einrichtung. Dieser Kindergarten wurde von "Kadima" (Vorwärts), dem jüdischen Frauenbund betrieben. Die Bezeichnung "Kadima" hatte mit Sicherheit nichts mit der im Jahre 2005 gegründeten Partei zu tun, die zwischen Likud und Arbeiterpartei zu finden ist.
Hier wurden die Kinder im Sinne ihrer Glaubenszugehörigkeit erzogen, wie es auch in den anderen christlichen Einrichtungen geschah und immer noch praktiziert wird.

Ein neues Beth-Hamidrasch

Die wachsende jüdische Bevölkerung machte ein neues Haus erforderlich. Es entstand in Memel in der Baderstraße 11 und wurde mit einem feierlichen Akt eingeweiht.
Zwei Berichte aus dem Memeler Dampfboot:

  • 24.09.1875

Vor etwas mehr als einem Jahre berichteten wir an dieser Stelle von der Grundsteinlegung eines der Russisch-Israelischen Gemeinschaft am hiesigen Orte gehörigen, in der Baderstraße 11 belegenen Gotteshauses; es ist dieses ein sogenanntes Beth-Hamidrasch (Lehr- und Bethaus). Das Gebäude ist jetzt so weit fertiggestellt, daß es morgen, Sonntag, den. 26, Vormittags 11 Uhr, eingeweiht werden soll. Auch viele Christen, darunter die Spitzen sämmtlicher Behörden am hiesigen Orte, haben Einladungen empfangen. Bei diesem feierlichen Acte werden neben den beiden Rabbinern S. A. Wohlgemuth von der Russischen und Dr. Rülf von der Synagogen-Gemeinde, auch noch der neuengagirte Rabbiner der Russischen Israelit. Gemeinde von Königsberg fungiren. Der letztere, Malbim mit Namen, welcher bereits am Donnerstag hier eingetroffen ist, ist eine Brühmtheit der talmudischen Gelehrsamkeit. Sein Hauptfach ist jedoch die agadisch-homiletische Bibelexergese. Unter seinen zahlreichen Schriften ist ein vielbändiges Bibelwerk dieser Art das bekannteste und geschätzteste.

  • 28.09.1875

Die Einweihung des neuen israelitischen Bethauses am Sonntag Mittag hat einen recht günstigen Verlauf genommen; auch das Wetter, obschon etwas kalt, war hell und freundlich. Die geladenen Ehrengäste hatten sich pünktlich elf Uhr eingefunden. Der Königl. Landrath Herr v. Gramatzki, der Herr Oberbürgermeister Krüger, der Herr Kreisgerichtsdirektor Kessler, der Herr Polizeiinspector Riechert, die Vertreter des Kaiserl. Russ. Consulats, Herr Staatsrath v. Trentowius und Herr v. Schiebel, die Spitzen der Kaufmannschaft und die Städtischen Behörden hatten die Feier mit ihrem Besuche beehrt. Bald nach 11 Uhr ferfolgte die feierliche Translocation der geschmückten Thorarollen aus dem alten Beth-Hamidrasch in das neue. Der Bet- und Lehrsaal ist von stattlichem Umfange, konnte aber heute dennoch kaum die Masse der Besucher aus allen Theilen der Stadt und der Bevölkerung fassen, die zur Betheiligung an der Feier gekommen waren. Als Redner trat zuerst der Königsberger Rabbiner Malbim auf, und nach ihm Dr. Rülf, der auch das Weihegebet und das übliche Gebet für Kaiser und Vaterland sprach. Allgemeine Anerkennung fand der jüdische Canto aus Ruß, den man hierher berufen hatte, um an diesem Tage den Vorsängerdienst zu versehen. Wenn man bedenkt, daß dieses stattliche und zweckentsprechende Gebäude lediglich durch milde Beiträge und wenn auch die weniger Vermögenden nach Kräften beigesteuert haben, dennoch vorzugsweise von den kleinen Beisteuern der Aermeren erbaut ist, so kann man den Leuten die Hochachtung nicht versagen. Am Tage der Einweihung sind wieder zahleiche milde Gaben gespendet, so hat wie wir hören, Herr Meyer Lewy von hier die Herstellungskosten der heiligen Lade im Betrage von 400 bis 500 Thalern zugesagt, auch ein hiesiger christlicher Kaufmann soll 100 Thaler gespendet haben

Jugendorganisationen und Hachschara in Memel

Folgende zionistischen Jugendorganisationen gab es in Memel: Hashomer Hatzair [7], Beitar [8], Hanoar Hazioni [9], Bnei Akiva [10], Hertzelia und Young Wizo [11].

Eine Hachschara-Ausbildungsstätte von Hechaluz[12] war schon zu Beginn der 1920er Jahre entstanden, während der Zeit der Französischen Verwaltung des Memellandes. Mit Spenden von wohlhabenden Memeler Juden wurde 1927 das Beth Hechaluz errichtet. Es war ein 3stöckiges Gebäude, ausgestattet mit allen Bequemlichkeiten, einschließlich einer Küche mit elektrischen Geräten, und es diente als intellektuelles Zentrum aller lokaler Zionisten und als Treffpunkt für Mitglieder der Trainings-Kibbutzim in der Umgebung.

1925 gab es 13 Landwirtschaftliche Hachschara-Ausbildungsstätten auf jüdischen und deutschen Bauernhöfen in der Region Memel mit ca. 400 Mitgliedern. Das Beth Hechaluz diente auch als Wohnplatz für den Stadt-Kibbuz von Memel, welcher während der 1930er Jahre ca. 600 Mitglieder hatte, von denen 50 Mitglieder zu Hashomer Hatzair gehörten. Angegliedert war auch ein Sanatorium für Hechaluz-Mitglieder.

Memel - als Hafenstadt - war ein Zentrum der Hechaluz-Aktivitäten, deren Mitglieder auch im Bereich des Hafens und der örtlichen Schiffahrt tätig waren.

Die Organisation Agudath Yisrael[13] hatte in Memel ebenfalls eine Hachschara-Ausbildungsstätte.

  • Weitere interessante Informationen sind hier zu finden: [8]


Zeitungsartikel aus dem Memeler Dampfboot

  • 07.05.1935 - Sportliche Veranstaltungen der Bar-Kochba

Am Vormittag des letzten Sonntags hat eine Reihe von sportlichen Veranstaltungen des Bar-Kochba-Memel stattgefunden. Um 11 Uhr begann ein Sternlauf durch die Stadt, an dem sich Jugendliche, Frauen und Männer des Vereins beteiligten. Der Lauf ging geschlossen vor sich, und zwar vom Vereinshaus in der Libauer Straße ab durch die Libauer Straße, Luisenstraße, Marktstraße und dann wieder zum Vereinshaus zurück. Am Lauf nahmen etwa 100 Läufer teil. Der Nachmittag brachte ab 2 ½ Uhr leichtathletische Veranstaltungen und im Anschluss ein Fußballspiel Poniewiecz gegen Bar-Kochba. Die Veranstaltungen waren gut besucht und wurden reibungslos abgewickelt. Das Fußballspiel endete mit 1:1 unentschieden.


Jüdische Bewohner des Memellandes


Wanderung
David.jpg
So schnell verging die Lebenszeit.
Es türmte maßlos sich das Leid.
Vorbei ging Glück und Ruhe.
Es erntete der grimme Tod,
und bitter ward uns Schlaf und Brot.
Zieht an die Wanderschuhe.
Wir müssen weiter, weiter gehen
und dürfen nicht zurücke sehen;
wird einst uns Heimat werden?
Und führt uns unser Weg auch weit,
wir sind in Glück und sind im Leid
nur Gäste hier auf Erden.
Frieda Strauss, geb. 1889


Zufallsfunde

  • Joseph Abelmann und Felicita geb. Kossowski (Der Gemeindebote, Beilage zur AZ 13. Juni 1919)
  • Rabbiner Dr. Isaak Stein (Gemeindebote, Beilage zur AZ 25. Juli 1915)
  • Rabbiner Gabriel Feinberg (Gemeindebote 9.Sept 1904)
  • Repräsentantenvorsteher Adolf Effenstädt (Gemeindebote, Beilage zur AZ 9. Nov. 1917)
  • Kaufmann Saul Bloch (Gemeindebote, Beilage zur AZ 28.Nov 1919)
  • Schächter Moses Saffa (Geburtsanzeige vom 13.1.1879: Geboren dem Schächter Moses Saffra ein Sohn. MD vom 14.1.1879, S.3)


Quellen

  1. Sembritzki, Johannes: Geschichte des Kreises Memel, Memel 1918, S. 246 f,
  2. Petružiene, Sada : Die jüdische Gemeinschaft in Klaipeda/Memel [1]
  3. Jüdische Zeitung Dezember 2007, Auszug aus dem Artikel von Ruth Leiserowitz: Juden in Ostpreußen (Von Königsberg und Memel nach Kaliningrad und Klaipeda) [2]
  4. Website des Juden in Ostpreußen e. V., Berlin; Publikation: Heydekrug 1941-1943 [3]
  5. Israel Behr aus Memel
  6. Merten, Karl-Friedrich: Nach Kompaß, Die Erinnerungen des Kommandanten von U-68, Ullstein 2006, S. 503ff Kapitel „Memel“, S. 512
  7. Brocke, Michael und Carlebach, Julius: Die Rabbiner der Emanzipationszeit in den deutschen, böhmischen und großpolnischen Ländern 1781 - 1871, 2007
  8. http://annaberger-annalen.de/jahrbuch/2008/14_Die_Juedische_Gemeinschaft-web.pdf


Weblinks