Portal:Kiefernberg/Geschichte/Ein Auszug aus der "Chronik des ostpreußischen Grenzkreises Schloßberg/Pillkallen", Band 2, 4. Auflage 2004, von Herbert Sebeikat, † 11.April 2009, Bericht von Paul Uschdraweit

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Der Landarbeiterstreik 1923

Ein Auszug aus der Chronik des ostpreußischen Grenzkreises Schloßberg/Pillkallen, Band 2, 4. Auflage 2004, von Herbert Sebeikat, † 11.April 2009,
aus dem Bericht von Paul Uschdraweit, Landrat des Kreises Pillkallen.

Genehmigung für die Veröffentlichung in GenWiki im „Portal Pillkallen“ unter der Auflage der ausschließlich nicht-kommerziellen Nutzung liegt von der „Kreisgemeinschaft Schloßberg/Ostpr. e.V. in der Landsmannschaft Ostpreußen e.V., Rote-Kreuz-Straße 6, 21423 Winsen/Luhe“ schriftlich vom 19.03.2011 vor.

Aus dem Bericht von Paul Uschdraweit, Landrat des Kreises Pillkallen (seit 1938 Schloßberg) von 1934 bis 1937. Im Jahre 1923 beriet die Tarifkommission in Königsberg wochenlang ergebnislos über neue Löhne der Landarbeiter. Die alten Löhne waren so, daß der Deputant etwa 28 Ztr. Getreide einschließlich Ackerfläche erhielt, auf der fast immer Sommergemenge angebaut wurde. Neben dem Kartoffelland von etwa 2 - 3 Morgen erhielt der Deputant vor der Inflation 7 - 9 Mark bar. Dazu kam noch Schaf- und Kuhhaltung oder Lieferung von Milch und selbstverständlich freie Wohnung und Gartenland. Wichtig war nun für den Landwirtschafts-Verband Ostpreußen (L.V.O.), daß die Deputantenfrau gewissermaßen in diesen Lohn eingebaut war, d. h. sie war verpflichtet, auf Abruf jederzeit zur Arbeit für einen bestimmten Lohn zu erscheinen oder ein Glied der Familie zu stellen. Scharwerksverträge gab es im Kreise Pillkallen, Stallupönen und Gumbinnen wegen der Struktur der Wirtschaftsgrößen nicht oder nur selten, so daß der Kreis Pillkallen wegen der Frauenarbeitspflicht in erster Linie wohl als Beispiel für den Streik ausersehen wurde. Die Lohnforderungen des Landarbeiter - Verbandes scheiterten und zur Heu- und Kleernte kam es zu einem dreiwöchigen Streik. Die Provinzialvertretung erhielt Unterstützung von Studenten der Universität und Schülern höherer Schulen, die Technische Nothilfe wurde eingesetzt.

"Streikposten versuchten, diese Helfer an der Arbeit zu hindern, und wegen der Sabotageakte entschloß sich der L.V.O. zur Selbsthilfe. Da die Übergriffe in der Gegend von Kussen am häufigsten vorkamen, wurde dort unter Führung von Otto Paulat aus Drozwalde eine Reitertruppe aufgestellt. Die Postagenturen wurden auch nachts besetzt und bei mir die Zentrale eingerichtet. Die Reitertrupps hatten Befehl, sich stündlich bei mir fernmündlich zu melden. Leider ist es dann zu der „Schlacht bei Eggleningken“ gekommen, als der Hof von Franz Noreikat in Eggleningken (Kiefernberg) von etwa 120 - 150 Mann eingekesselt und der Besitzer und die Helfer unter Bedrohung an der Arbeit gehindert wurden.
Der Hilferuf erreichte mich, als der Reitertrupp von etwa 30 Mann sich in der Nähe von Ragupönen befand. Es kam zu einer tätlichen Auseinandersetzung und mehreren Verletzten. Später kam es dann zu Protesten im Reichstag und zu einer Gerichtsverhandlung, die nicht viel erbrachte, da die Bedrohung einwandfrei vorlag und die Selbsthilfe durch Versagen der Polizei gegeben war. Diese war auch mengenmäßig gar nicht in der Lage, die Ordnung aufrechtzuerhalten."

Im Kreissitzungssaal kam es in Gegenwart von Vertretern des Provinzialverbandes der Arbeitnehmer und -geber zu neuen Lohnverhandlungen und nach vielen Stunden zur Einigung. Der Streik wurde beendet. Die Forderungen der Landarbeiter auf mehr Barlohn und mehr Deputat wurden zum Teil erfüllt, wobei aber fast durchweg die Schafhaltung fortfiel und die Gewährung des Gemengelandes. Der Gegenwert der Landnutzung wurde mit 6 Ztr. angesetzt. Mit der Forderung auf vollständige Ausklammerung der Deputantenfrauen kam der Landarbeiterverband damals noch nicht durch. Der Streik und auch die „Schlacht von Eggleningken“ ließ bei beiden Partnern keine bitteren Gefühle zurück. Gerade diese Tatsache zeigt das gute Verhältnis zwischen den ostpreußischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Im 1. Weltkrieg war Eggleningken (Kiefernberg) Kampfgebiet. Während der Kämpfe wurden u.a. auch Gebäude der Höfe Wicker, Noreikat und Ramminger zerstört. Aus den Aufzeichnungen des Bauern Emil Ramminger (geb. 1894), zusammengestellt von Heinz Ramminger:

„Dieser unser Hof war, als meine Eltern von der Flucht zurückkamen, auch nur noch eine Ruine, zerschossen und abgebrannt. Geblieben war den Eltern nur das Notwendigste, das sie bei der Flucht mitnehmen konnten und nun zurückbrachten. Noch während des Krieges hatte mein Vater unseren Hof bis auf das Wohnhaus zum größten Teil neu aufgebaut. Nach Schluß des Krieges, als mein Bruder Otto und ich nach Hause gekommen waren, begann der Neubau des Wohnhauses, das 1920 fertig bezogen werden konnte. Mit Mut und Entschlossenheit und mit großzügiger Unterstützung durch den Staat waren Anfang der 20er Jahre die zerstörten Gebäude wieder aufgebaut.“


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