Kanalisation

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Die Lebensumstände im lokalen und regionalen Bereich mit den natürlichen und kulturellen zeitlichen Gegebenheiten geben Hinweise zur Anlage von Biografien unserer Vorfahren in der jeweiligen Generation. Land und Leute in ihrer Zeit, ihre Siedlung, Sprache, Kirche, und die Vernetzung ihres Lebensraumes. Kurzgefasste Informationen mit Grundlagen für notwendige Einblicke finden sich u.a. Abtritt, Wasserwerke, Elektrizität.... im Deutschen Städtebuch ...

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Römischer Lokus mit Sitzreihen, darunter fließendes Wasser der Schwemmkanalisation, in Ephesus (Türkei) zur Zeit des hlg. Paulus

Einleitung

1905: Kanalisation bezeichnet die Gesamtheit unterirdischer, röhrenförmiger Leitungen (Abzugskanäle, Kloaken, Siele) zur Entwässerung der menschlichen Wohnstätten. Das Kanalnetz soll die häuslichen und gewerblichen Abwässer, die von Dächern, Straßen, Plätzen, Höfen etc. abfließenden Niederschlagwässer, oft auch die menschlichen Entleerungen (Exkremente) aufnehmen und abführen.

Schwemmkanalisation

Werden die Kanäle so angelegt, daß, vermöge ihrer Form, ihres Gefälles und reichlicher Wasserzufuhr, ihr Inhalt fortgeschwemmt werden kann, so spricht man von Schwemmkanalisation.

Abtritt über Wasser 1625. (Kupferstich, Dorflandschaft v. Merian)

Hygiene im Altertum

Das Beispiel der Kulturvölker des Altertums, die für die Reinhaltung ihrer Städte und deren Versorgung mit gesundem Trinkwasser (Aquädukte) großartige Anlagen schufen, hat nicht nachgewirkt.

Mittelalterliche Zustände in Deutschland

1905: Mittelalterliche Zustände haben sich stellenweise bis um 1905 erhalten. In Lindau z. B. bestanden bis vor wenigen Jahren noch die sogenannten Ehegräben. Die Abtritte mündeten einfach in den schmalen Raum zwischen den Rückseiten benachbarter Häuserreihen, und der Regen schwemmte von da, wohl oder übel, den Unrat in den Bodensee.

In den meisten Städten suchte man noch 1905, wie es auf dem Lande noch geschieht, das Niederschlagwasser in offenen Gräben fortzuleiten, die Schmutzwässer und Entleerungen in durchlässigen Gruben zu sammeln (Senkgruben, Versitzgruben, Sickergruben), aus denen die Flüssigkeit tunlichst in den Boden versickern soll, während der Schlamm zeitweise ausgeschöpft und weggefahren wird. Die hierdurch hervorgerufene Verseuchung des Untergrundes hatte in Städten die gesundheitschädlichsten Folgen (mangelnde Abstände zu Brunnenschächten).

Fortschritt: Abzugkanäle

1905: Ein wesentlicher Fortschritt waren unterirdische Abzugkanäle für die Niederschlag- und wohl auch Hauswässer, neben wasserdichten Abtrittgruben, deren Inhalt man nach Bedarf in fahrbare Behälter pumpte und wegfuhr.

Wo in der Folge die Abtritte, nach englischem Vorbilde, mit Wasserspülung eingerichtet wurden, konnte man auf die getrennte Behandlung von Abwässern und Entleerungen verzichten und fortan auch die Abtrittstoffe unmittelbar in die Kanäle schwemmen (ohne Aufbereitung in Kläranlagen!), während Straßenkehricht, Abfälle von Haus und Küche, von Schlachthäusern, verschiedenen Gewerben u. dgl. nach wie vor in Behältern gesammelt und aus dem Bereiche der Stadt abgeführt werden müss(t)en, da sie sich in den Kanälen nicht fortspülen lassen, sondern anhäufen würden. Kanalisation und Unratabfuhr müssen daher (eigentlich) immer nebeneinander fortbestehen.

Sterblichkeitsziffern: Kanalisation und Wasserversorgung

Noch 1905 trachtet man die Verseuchung des Untergrundes in Städten tunlichst hintanzuhalten und stellt nicht nur die Bedeckung der Straßen, sondern auch das Kanalnetz so undurchlässig wie möglich her. Verfeuchter Untergrund liefert schließlich höchst ungesundes, ekelhaftes Brunnenwasser, Viren und Bakterien. Dies führte in vielen Städten dazu, reines Trink- und Nutzwasser mittels z. T. großartiger Anlagen aus weiter Ferne herbeizuleiten. Kanalisation und Wasserversorgung sollen daher Hand in Hand gehen.

Sie haben, wie die Sterblichkeitsziffern schlagend dartun, die Gesundheitsverhältnisse alter Städte, wie München, oft schon nach wenigen Jahren gewaltig verbessert. Gleichzeitig ist der Wasserverbrauch, der einen gewissen Maßstab für die Kulturstufe und die Annehmlichkeiten einer Stadt darstellt, beträchtlich gewachsen, und die Abwässer haben sich vermehrt. Die Abflußmenge, mit der man bei Anlage einer Kanalisation zu rechnen hat, ist die der natürlichen Abzugwässer des Niederschlaggebietes, das die Stadt einnimmt, vermehrt um die Wassermenge mit der die Stadt künstlich versorgt wird.

Alles ohne Kläranlage in die Aufnehmer

Das Regenwasser findet in Städten nahezu sofort seinen Weg in die Abzugkanäle (Siele), weshalb deren Abmessungen und Gefälle den stärksten zu gewärtigenden Regenfällen von kurzer Dauer entsprechen sollten. Um an Kosten zu sparen, macht man häufig die Sammelkanäle nicht so geräumig, daß sie auch bei Wolkenbrüchen ausreichen, sondern man entlastet sie durch sogenannte Regen- oder Notauslässe, die das überschüssige Wasser auf dem kürzesten Wege dem nächstgelegenen Aufnehmer (Fluß, See) zuführen.

Wasserläufe lassen sich mit Vorteil zur Hergabe von Spülwasser benutzen, wie z. B. die Isar in München, wo sinnreiche Vorkehrungen getroffen sind, um das ganze Kanalnetz mit reinem Isarwasser durchzuspülen (wie die alten Römer).

1955: Entleerung d. Jauchegrube zur Düngung im Garten (Haus erb. 1908), Abtritt (Tür mit Karo), benutzt von 2 Familien mit 5 Personen, daneben Schweineställe, 15 m weiter Brunnen m. Handpumpe.

Abtransport der Abwässer

1905: Mit der Anlage des Kanalnetzes, das die Abwässer des Stadtgebietes zu sammeln hat, ist aber erst ein Teil der Aufgabe gelöst. Der zweite, oft sehr schwierige Teil besteht darin, die gesammelten Abwässer aus dem Bereiche der Stadt (ohne Kläranlage) fortzuschaffen. Je nach der Örtlichkeit gibt es verschiedene Wege. In Städten an bedeutendern Gewässern (Flüssen, Seen, Meeren) hat man die Abwässer aus einzelnen Gebieten in größere Siele gesammelt und auf dem kürzesten Weg in die Gewässer geleitet (Perpendikularsystem), so 1905 z. B. in London, Wien, Budapest, Chicago, Boston. Allein es zeigten sich mit der Zeit schwere Übelstände. Bei Hochwasser machte der Rückstau das Kanalnetz unwirksam. Im Wiener Donaukanal, wo die Wassermenge nicht sehr groß ist, wurde die Verunreinigung immer unerträglicher.

Durch die Einleitung der Kanaljauche in natürliche Wasserläufe wird aber, auch wenn Klärung durch Absetzung vorangeht, das Gewässer für die Anwohner der untern Strecken bedenklich verunreinigt. Der Schmutzstrom setzt noch lange seinen Weg im Flusse selbständig fort. Kaum vorstellbar, was im Laufe eines Jahres zentrale Sammelflüsse, wie Donau, Rhein, Weser, Elbe und das Oder-Neisse System an Unrat, Krankheitskeimen und Industrieballast bis hin in`s 20. Jahrhundert auffangen mußten.

Erste Rieselfelder

1905: Da überdies durch das einfache Wegschwemmen der Kanaljauche eine Menge wertvoller Dungstoffe für die Landwirtschaft verloren geht, so hat man längst, wo es die Örtlichkeit gestattete, die geklärte Kanaljauche zur Berieselung von Grundstücken (Rieselfelder) verwendet und dadurch, wie namentlich in Paris und Berlin, vortreffliche Erträgnisse erzielt.

Hygieneerwartung, Typhus

1905: Da durch die Kanalisation der wesentlichste Teil der Städtereinigung geleistet wird und jede Erhöhung der Reinlichkeit eines Ortes gesundheitsverbessernd wirkt, so ist auch von der Kanalisation ein bedeutender hygienischer Effekt zu erwarten (?). In Hamburg entfielen vor der Besielung auf 1.000 Todesfälle 48,5 Typhusfälle, während des Baues 27,1, nach Vollendung des Baues 18,3 Typhusfälle.

In München starben, als es sozusagen noch ohne Kanalisation war, auf 100,000 Lebende berechnet, im Jahr 500 Personen am Typhus, 1905 (nach größtenteils durchgeführter Kanalisation) etwa 10 Personen. Die höchsten Typhuszahlen ergeben Städte ohne Kanalisation; an den mittelgroßen Typhuszahlen sind mehr die nicht kanalisierten als die kanalisierten Städte beteiligt, an den niedrigsten Zahlen die meisten kanalisierten Städte. Von 46 kanalisierten Städten weisen 78 Prozent, von 37 nicht kanalisierten Städten nur 40 Prozent niedrigste Typhuszahlen auf.

Geschichtliches

Zur schnellen Beseitigung von Unrat wurden schon im Altertum in vielen Städten, wie Babylon, Karthago, Jerusalem, namentlich auch in Ägypten, bedeutende Anlagen gemacht.

  • In Jerusalem leitete man die Abwässer in Teiche und verwertete den Bodensatz als Dünger, das Wasser zur Bewässerung von Gärten.
  • Roms Cloaca maxima, von Tarquinius Priscus zur Entwässerung des sumpfigen Bodens erbaut, nahm später alle Abwässer auf und wurde unter Augustus mit einer regelmäßigen Spülung aus den Wasserleitungen versehen.

Im Mittelalter

Im Mittelalter geschah sehr wenig für die Städtereinigung, und die primitivsten Verhältnisse haben sich in kleinen Städten bis in die Gegenwart um 1905 erhalten. Wohl die älteste Anlage der neuern Zeit besitzt Bunzlau, wo man 1559 gemauerte Kanäle zur Ableitung der Abwässer erbaute; Prag erhielt ähnliche Abzugskanäle im 17. Jahrh. Die bedeutendste Entwickelung erfuhr die Kanalisation in England. Hier trat das Bedürfnis, die Städte mit Wasserleitung zu versehen, schon früher hervor als bei uns, und eine natürliche Folge davon war die Notwendigkeit, Einrichtungen zur Ableitung des gebrauchten Wassers zu schaffen. Fast jede gut verwaltete Stadt in England ist mit Wasserleitung und Kanalisation versehen.

In Deutschland begann Hamburg Mitte der 1850er Jahre die Anlage einer Kanalisation. Die erste Stadt auf dem europäischen Kontinent, die das System der Wasserleitung, Kanalisation und Rieselfelder vollkommen durchführte, war Danzig (1869), und seit 1875 gelangte dasselbe System in Berlin zur Ausführung.[1]

Fußnoten

  1. Quelle: Meyers Großes Konversationslexikon. (1905-1909).

Literatur

  • Varrentrapp: Über Entwässerung der Städte, Wert und Unwert der Wasserklosette (Berl. 1868)
  • Wiebe: Die Reinigung und Entwässerung der Stadt Danzig (1865)
  • Virchow: Über die Kanalisation von Berlin (Gutachten, das. 1868)
  • Virchow: Kanalisation oder Abfuhr? (1869)
  • »Reinigung und Entwässerung Berlins. Einleitende Verhandlungen und Berichte« (1870/79,13 Hefte)
  • Veitmeyer: Vorarbeiten zu einer künftigen Wasserversorgung der Stadt Berlin (1871/75)
  • Latham: Sanitary engineering (2. Aufl., Lond. 1878)
  • Pettenkofer: Vorträge über Kanalisation und Abfuhr (Münch. 1876)
  • Lindley: Das Schwemmsielsystem in Frankfurt a. M. (Frankf. 1878)
  • »Assainissement de la Seine« (hrsg. von der Seinepräfektur, Par. 1876/77)
  • Hobrecht: Beiträge zur Beurteilung des gegenwärtigen Standes der Kanalisations- und Berieselungsfrage (Berl. 1883)
  • Hobrecht: Die Kanalisation von Berlin (1884, 1887)
  • Adams: Sewers and drains for populous districts (New York 1880)
  • Büsing: Die Städtereinigung (Stuttg. 1897)
  • König: Über die Kanalisation kleiner Städte und Reinigung der Abwässer (Halle 1894)
  • Anlage und Ausführung von Städtekanalisationen (Leipz. 1902)
  • Taschenbuch des Hydrotekten (1904)
  • Dobel, Kanalisation (4. Aufl., Stuttg. 1904)
  • Frühling: Die Entwässerung der Städte, im »Handbuch der Ingenieurwissenschaften«, 3. Teil, Bd. 4 (4. Aufl., Leipz. 1903).