Australische Auswandererbriefe (1934)/3

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Der Heimat Bild“ - Australischen Auswandererbriefen nacherzählt von Walter Fläming
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Häuslerkate bald in arge Bedrängnis kommen; und man fühlt sich durchaus geborgen, wenn es noch hinlänglich Mehlstippe mit Speckflocken oder frisches Leinöl zu den Kartoffeln gibt.

      Aber dem Schuster scheint das kein lebenswertes Leben. Er weiß schöneres; er kennt das Paradies auf Erden. Ihm ist die Heimat nichts, weil seine Seele sich nicht fest mit eigener Scholle verhakeln kann. Er ist ein immer unzufriedener Nörgler, der Schlösser in die Wolken baut und anderen die Köpfe verdreht. Und eines Tages spricht er das große Zauberwort aus: Australien!

Dorf im Auswanderungsfieber

      Dem Paplitzer Kantor Meerwaldt, einem Feuerkopf von einigen dreißig Jahren, zerklirrt auf den Steinen vor dem Hause des Schulzen Taege der porzellanene Pfeifenkopf mit dem schönen Bilde, das Blücher in der Umarmung mit Wellington auf dem Schlachtfeld von Bellealliance zeigte. Er ist sprachlos darüber, was ihm der Dorfgewaltige soeben inmitten des behäbigen Gevatterschnacks von der neuesten Marotte des verdrehten Schusters erzählt. „Da soll doch dieser und jener“, wettert er los; „ist der Mann bloß unklug, oder ist er bösartig? Hat er denn nicht ein Fünkchen deutscher Glut in seinem schwarzen Schusterherz! Will hier ehrliche, fleißige und bisher doch leidlich zufriedene Menschen verleiten, sich von der Heimat abzuwenden. Sollen da draußen vor die Hunde gehen und den hochnäsigen Vettern jenseits des Kanals in ihrer neuesten Kolonie den Kulturdünger abgeben. Ich dächte, wir Deutschen hätten überaus genug trübselige Erfahrungen gesammelt dort drüben in Amerika, aber auch bloß als die Soldknechte Albions! Den Schuster kaufe ich mir; dem werde ich seinen Querkopf schon richtig setzen!“ Auf der Stelle dreht der Kantor um und humpelt - er lahmte schon als Junge, weil ihm beim Austreiben ein Pferd das rechte Bein angeschlagen hatte - dem Schulhause zu. Jetzt ist die Reihe zu erstaunen am Schulzen. Daß Meerwaldt plötzlich Feuer fängt und ohne sichtbaren Grund explodieren kann, weiß er aus vielfacher Erfahrung. Was ihn aber soeben aus dem Häuschen brachte, ist dem Schulzen nicht ganz klar. Mochte doch der Schuster hingehen, wo der Pfeffer wächst, und mit ihm all das unzufriedene Volk. Dann ist man eben die Unruhestifter los; und Friede ist wieder in den Dörfern.

      Drüben in Tucheim gibt es auch Leute, die gegen den Schuster Wagner aufstehen. Als Meerwaldt über den Kirchhof schreitet, hört er im Pastorenhaus erregten Wortwechsel. In der verqualmten Studierstube findet er um den großen Tisch versammelt den Pastor Krause, seine Kollegen, den weißhaarigen Kantor Marwitz, den jungen Lehrer Lindstedt, den Wirtschaftsinspektor Lucke und den Schulzen Braune. Aus Karow sind gerade zum Besuch im gastfreundlichen Pastorhaus der Kantor Wulkow und der Schulze Nickel. Meerwaldt schnappt, noch ehe er an die Stubentür klopft, einige Worte auf, die ihm die ganze Situation klarmachen. Und da es um den verdrehten Schuster geht, kann er sich alles das sparen, was er sich auf dem Wege hierher zurechtgelegt hat.

      Jeder von ihnen weiß einiges vom Treiben Wagners zu erzählen. In Tucheim hat er tatsächlich schon einer ganzen Reihe von sonst so besonnenen und gesitteten Männern mit seiner Australienmarotte den Kopf verdreht. In den Familien Trinne, Wächter, Wedding, Zander, Flügge, Elsholz, Hahn, Kabelitz, Lenz, Thiele, Siebert und noch einem Dutzend anderer Häuser redet man schon von nichts anderem mehr als von der Fahrt über das große Wasser; und die jungen Frauen dort, die halbflüggen Mädchen und Burschen sind um verdrehtesten. Aber auch in Paplitz, Ziesar, Hohenseeden, Krüssau, in Genthin und Altenplathow, sogar um Fischbeck (bei Tangermünde) und Schönhausen (Elbe) herum grassiert das Fieber, mit dem Wagner die ganze Heimat verseucht. „Es ist ein Volksverführer elendester Art!“ schlägt Pastor Krause die Faust auf den Tisch; „mit Vernunftgründen ist ihm nicht beizukommen. Der Kerl hat den Gottseibeiuns uns im Leibe!“