Deutsche und französische Kultur im Elsass/059

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Deutsche und französische Kultur im Elsass
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mit grösserer oder geringerer Nachhaltigkeit aufgenommen worden ist, wobei nicht nur das sozialistische Programm den Industriearbeiter anlockte, sondern auch eine demokratische Weltanschauung, wie sie ihm von deutscher Seite noch nie geboten worden war, einen mächtigen Einfluss auf den völlig demokratisierten Elsässer ausübte.

Man mag über die Sozialdemokratie urteilen wie man will, sie ist unstreitig das einzige Produkt deutscher Kultur, das ein beträchtlicher Teil der oberelsässischen Bevölkerung freiwillig aufgenommen hat. Als solches Produkt deutscher Kultur übt die Sozialdemokratie auch einen germanisierenden Einfluss auf die altelsässische Arbeiterbevölkerung aus. Der für dieselbe gewonnene Altelsässer hört deutsche Redner, er liest deutsche Zeitungen, Zeitschriften und Bücher, er tritt mit deutschen Parteigenossen in engeren Verkehr, er gewinnt Interesse für das wirtschaftliche, soziale und politische Leben in Altdeutschland. Gerade der, trotz aller gegenteiligen Versicherungen, spezifisch deutsche Charakter der Sozialdemokratie bereitet der Partei die grössten Schwierigkeiten im Land und steht der nachhaltigen und allgemeinen Verbreitung der Lehre unter der altelsässischen Arbeiterschaft entgegen.

So sind die Altdeutschen in der erwerbsthätigen Bevölkerung des Elsasses zwar vertreten, aber ihre Verbreitung ist lokal sehr beschränkt. Auch da, wo sie zahlreich sind, bilden sie eben doch eine kleine Minorität gegenüber den Eingeborenen. In den sozial so bedeutsamen Klassen der grösseren ländlichen Grundbesitzer und Bauern fehlen sie gänzlich; in der Klasse der grossen Industriellen und Handelsherren behaupten sie der Zahl nach nur einen sehr bescheidenen Platz. Im Gegensatz dazu sind die höheren Staatsbeamten, ein Teil der höheren Kommunalbeamten, die akademisch gebildeten Lehrer und schliesslich die Angehörigen der Armee fast durchweg Altdeutsche. Also dieser Bestandteil der Gesellschaft ist im Gegensatz zu den Erwerbsständen ziemlich homogen aus Altdeutschen zusammengesetzt. Weitaus am wichtigsten in diesem Beamten- und Soldatenheer sind die Richter und höheren Verwaltungsbeamten, die akademisch gebildeten Lehrer und die Offiziere. Von ihnen wird daher im Folgenden hauptsächlich die Rede sein. Diese Beamten und Offiziere stammen aus allen Teilen des Reiches. Natürlich stellt Preussen schon wegen der zum grössten Teil preussischen Truppenkörper das grösste Kontingent. Aber gerade unter den höheren Beamten der Centralverwaltung finden sich zahlreiche Süddeutsche, Bayern, Pfälzer, Badenser und andere. Trotz dieser Stammesverschiedenheiten tragen diese Klassen ein ziemlich gleichartiges soziales Gepräge. Kraft ihres besonderen Dienstverhältnisses zum Staate und kraft einer regelmässig akademischen Vorbildung haben sie sich zu scharf ausgeprägten Berufsständen entwickelt, die in der Hauptsache nur unter sich verkehren und von den übrigen Bevölkerungsklassen sich ziemlich abschliessen. Bei Offizieren und Verwaltungsbeamten tritt noch sehr häufig der Adel als sozial auszeichnendes Merkmal hinzu. Untereinander sind diese verschiedenen Berufsstände durch mannigfache Bande vereinigt. So besteht eine annähernd gleiche Bildung, ein gewisses, bei jedem Stand allerdings besonders geartetes Standesbewusstsein, auch annähernd gleiche Vermögensverhältnisse, und schliesslich

Bildunterschrift:
A. Koerttgé: Murbach.