Deutsche und französische Kultur im Elsass/080

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Deutsche und französische Kultur im Elsass
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Bildunterschrift:
A. KOERTTGÉ: Kaysersberger Stadtmauern.

des Volkes die schon durch die Reformation zurückgedrängte und schwer geschädigte nationale Sinnenkultur gänzlich verloren. Die Fürsten mit ihren Künstlern und Hofherren blieben ganz isoliert. Ihre sinnliche Kultur konnte, von allem abgesehen, schon deshalb im Volk keinen Boden mehr finden, weil dieses zu arm geworden war. Aus diesen der sinnlichen Kultur seit Generationen entfremdeten, fast regelmässig protestantischen Familien der Bürger, Gelehrten, Pfarrer und Beamten giengen nun die Wiedererwecker des nationalen Geisteslebens im 18. Jahrhundert hervor. Sie haben die nationale Kultur des deutschen Volkes wesentlich als geistige Kultur wieder auferbaut, in der Wissenschaft und Dichtung die höchste Vollendung erreichten, die edelste Blüte der sinnlichen Kultur, die bildende Kunst, aber keine Stätte fand. Denn sie selbst waren der sinnlichen Kultur völlig fremd geworden, ihr ganzes Streben ging auf die geistige Kultur. Selbst diejenigen, die das lebhafteste Gefühl für diesen Mangel hatten, wie Lessing und Winckelmann, schlugen falsche Wege ein, indem sie die Kunst vermittelst der Gelehrsamkeit wieder zu erwecken strebten. Die unter der Herrschaft dieser einseitigen Geistesbildung aufwachsenden Geschlechter verloren alle sinnliche Empfänglichkeit, die Künstler selbst nahmen den grössten Schaden, und alle Versuche, die Kunst im Anschluss an die Antike oder das Mittelalter wieder zu beleben, schlugen fehl. So erreichte die sinnliche Kultur der Deutschen im 19. Jahrhundert ihren Tiefstand, auch das Interesse für die bildende Kunst ging ausser an einigen Kunstmittelpunkten stark zurück, die ganze Pflege galt der Musik, soweit nicht Dichtung und Wissenschaft die Geister in Anspruch nahmen. So ist der Niedergang der sinnlichen Kultur in Deutschland zunächst bedingt worden durch die gewaltige religiöse Erschütterung der Geister, die Reformation. Die gänzliche Entfremdung des Volkes von der Sinnenkultur geht aber unzweifelhaft zurück auf die allgemeine Verarmung seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts, die gerade die Kreise traf, die früher die bevorzugten Träger der Sinnenkultur in Deutschland gewesen waren. Der andauernde Tiefstand im 19. Jahrhundert ist wohl ausschliesslich aus der einseitigen Entwickelung der Geistesbildung abzuleiten, die allerdings selbst wieder in der Geistesbewegung der Reformation nicht minder als in der materiellen Notlage des Volkes ihre letzte Erklärung findet.