Erziehung im XX. Jahrhundert/028

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Erziehung im XX. Jahrhundert
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verschaffen sich die Kinder schon vor ihrer Schulzeit eine Summe von Vorstellungen, die auf klaren Anschauungen und eigenen Beobachtungen beruhen; jeder Spazier- gang, jede Art der Tätigkeit im Hause und Garten und jede Berührung mit Dingen der Aussenvvelt verkörpern sich gewissermassen zu klaren Vorstellungen, und die Zeichnungen sind dem Kinde ein wesentliches Mittel, seine Gedanken auszudrücken in einer Zeit, in der die Form des sprachlichen Ausdruckes ver- hältnismässig noch unbeholfen ist und die Form der schriftlichen Darstellung überhaupt noch vollständig fehlt. Das Zeichnen ist dann in hervorragendem Masse ein Ausdrucksmittel, ebenso wichtig, ja, in mancher Hinsicht fast noch wichtiger als die Sprache, wie ja auch Goethe schon gesagt hat: »Schreiben muss man wenig, zeichnen viel«.

So sehr man aber auch den Wert des Zeichnens als eines Ausdrucks- und Darstellungsmittels anerkennen wird, so darf man doch nicht übersehen, dass es ein noch wichtigeres Darstellungsmittel gibt, mit dem man ebenfalls das Kind schon in frühem Alter vertraut machen sollte. Die Kinder kommen von selbst ohne irgendwelche Anleitung zur Anwendung dieses Mittels, indem sie mit Sand, Erde oder anderm Material spielen. Damit beginnen sie zu »formen«, d. h. Ge- genstände körperlich nachzubilden. So einfach auch diese Art der Nachbildung sein mag, so handelt es sich hierbei doch um eine ganz andere Darstellung als beim Zeichnen; sie vollzieht sich nicht in der Fläche, sondern im Räume. Wie wir schon früher hervorgehoben, reicht der Gesichtssinn nicht aus, um das körper- liche Sehen zu entwickeln, er muss unterstützt werden durch den Tastsinn. Wir müssen die Gegenstände »begreifen«, d. h. wirklich mit den Händen abtasten, ehe wir sie nach ihrer Form ganz erfasst haben. Unsere Sprache drückt dies mit dem Worte >begreifen« überaus sinnig aus, die Erziehung aber im allge- meinen hat den Wert des Formens als eines Bildungsmittels für die frühen Kinder- jahre noch nicht anerkannt.

Wie beim Zeichnen so wird es sich auch beim Formen zunächst nicht um durchaus genaue Nachbildungen der betreffenden Gegenstände handeln, sondern man wird sich damit begnügen, dass das Kind die gewonnene Vorstellung eines Dinges einigermassen verkörpert. Die einfachsten Gegenstände sind dazu am besten geeignet. Das Ei, der Apfel, die Nuss, die Kirsche und andere Früchte können schon von drei- bis fünfjährigen Kindern einigermassen genau nachgebildet werden. Wenn man den leicht knetbaren Ton wegen der mit seinem Gebrauche verbundenen Unsauberkeit vermeiden will, so bedient man sich als eines ge- eigneten Materials des Plastilins, eines Kunstwachses. Dasselbe wird in ver- schiedenen Farben fabriziert und hat neben dem Vorzuge der Reinlichkeit auch noch den, dass man die Gegenstände naturgetreuer nachbilden kann. Neben dem Zeichnen und Formen hat die Erziehungskunst noch andere Beschäftigungsmittel für die Kinderstube geschaffen, oder vielmehr: sie hat sie nicht geschaffen, sondern von den Kindern übernommen. Friedrich Fröbel, der diese kindlichen Beschäftigungen in der umfassendsten Weise zusammengestellt, ausgebaut und zu einem System vereinigt hat, sagt selbst, dass er sie den Kindern abgelauscht habe. Wenn nun auch in seinem System der »Schönheits- formen« manches Gekünstelte und Unkindliche sein mag, so enthalten doch seine »Lebensformen« ausserordentlich viel Brauchbares, und ausserdem sind die Grundgedanken, auf denen seine Idee des »Kindergartens« beruht, den wahren Bedürfnissen der Kindesnatur so sehr angepasst, dass man die beharrliche