Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland/Anlagen 107

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Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland
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Rodungen und siedelten besitzlose Freie gegen Zins auf diesem Neubruch an, die damit sogleich einer Grundherrschaft unterworfen wurden.

Die Grundherrschaft entstand hier gewissermaßen originär, ohne daß freie Bauern zuvor Eigentum und Freiheit verloren. Der Grundherr war eher da als der Bauer. Aber Hand in Hand mit der Ausbreitung des großen Grundbesitzes ging eine Verschlechterung der Existenzbedingungen der kleinen Freibauern.

Zunächst kamen die großen technischen Fortschritte, welche die Landwirtschaft, besonders unter Karl dem Großen, machte, nicht der an der herkömmlichen Betriebsart festhaltenden, freien Bauernschaft, sondern dem frei wirtschaftenden Großgrundbesitzer zu gute.

Seitdem sich unbeschränktes Erbrecht an der Hufe ausgebildet hatte, wurden im Erbgang Vollhufen geteilt und mehrere Hufen in einer Hand vereinigt. Denn keines der deutschen Stammesrechte kannte den Grundsatz der Individualsuccession, sondern gleich nahe Erben hatten gleiches Erbrecht, soweit nicht der Vorrang der Männer vor den weiblichen Verwandten Platz griff.

Die hohen Bußen der Volksrechte führten nicht selten zur Verarmung des Schuldigen und zur wirtschaftlichen Schwächung seiner Sippengenossen, welche ihm die Buße aufbringen halfen. Heer- und Dingpflicht schädigten den kleinen Bauer auf das empfindlichste, indem sie seiner Wirtschaft die so notwendige Arbeitskraft des Besitzers entzogen.

Infolge dieser ungünstigen Verhältnisse verarmten die Freibauern in Masse, und angesichts des völligen Ruins, nicht selten auch durch Vergewaltigung und Mißbrauch der Amtsgewalt dazu gezwungen, entsagten sie ihrer Freiheit und ihrem Eigentum. Sie trugen ihr Gut mächtigen geistlichen oder weltlichen Grundherrn zu eigen auf und empfingen es, häufig vermehrt um weiteren Grundbesitz, als Zinsgut wieder zurück. Sie kommendierten ihre Person dem Grundherrn und minderten hierdurch und durch ihre jetzt bestehende Zinspflicht ihren status. Sie befanden sich von nun an wie die Halbfreien im mundium ihres Herrn, der ihnen Schutz im allgemeinen gewährte, häufig für ihre Missethaten haftete oder sie vor dem öffentlichen Gericht vertrat, ihnen den Heeresdienst erleichterte und sie später bei veränderter Heeresverfassung ganz davon befreite.

Aus dem Schutzverhältnis entstand eine persönliche Abhängigkeit; die Vertretung vor dem öffentlichen Gericht gab Anlaß zur Ausbildung einer grundherrlichen Jurisdiktion; für die Befreiung vom Heeresdienst mußten die Befreiten eine Heersteuer entrichten.

Die Befreiung der bäuerlichen Hintersassen vom Kriegsdienst beruhte auf einer Änderung in der Technik des Kriegswesens. An die Stelle der zu Fuße fechtenden Heere traten kleinere geübte Reiterscharen. Der Bauer konnte diesen Kriegsdienst nicht mehr leisten. Daher nahm ihm der Grundherr im Einverständnis mit der Staatsgewalt die persönliche Heerespflicht ab und stellte selbst (als senior) ein Kontingent wohlgerüsteter und geübter Reiter. So verlor der Bauer das Waffenrecht, bäuerliche und kriegerische Beschäftigung trennten sich, und es entstanden erbliche Berufsstände.