Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland/Anlagen 116

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Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland
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Der Umstand, daß die liberi in der Lex Saxonum nur selten erwähnt werden, und daß ihre wichtigsten Rechtsverhältnisse keine Regelung erfahren, erlaubt nicht, in ihnen die Hauptmasse und den Kern der Nation zu sehen. Wenn man die Lex Saxonum nicht für ein Adelsrecht, ein die Verhältnisse der großen Masse des Volkes überhaupt nicht berücksichtigendes Privileg des herrschenden Standes, sondern für ein wirkliches Volksrecht halten will, so können die liberi den wichtigsten Stand dieses Volkes nicht gebildet haben. Ja, die dürftigen Angaben der Lex Saxonum zeigen ihre Stellung derjenigen der Liten ähnlich, bringen sie in eine Abhängigkeit vom nobilis. Sie erscheinen daher nicht einmal als ein zwar minder wichtiger, aber den nobiles unabhängig gegenüberstehender Stand, der mit diesen gemeinsam die vollfreie, herrschende Klasse im Volk gebildet hätte. Sie besitzen nicht einmal die mittlere, die gemeine Freiheit, die gleich weit von der nobilitas wie von der Hörigkeit entfernt ist.

Trotzdem bildeten sie nach dem ausdrücklichen Zeugnis gleichzeitiger Schriftsteller und der beiden sächsischen Kapitularien einen Stand.

Welches war das entscheidende Kennzeichen ihres Standes? Welche Stellung nahmen sie in der sozialen Gliederung ihres Volkes ein?

Auf die erste Frage ist auf Grund der sächsischen Quellen keine Antwort zu geben. Der liber wird in den sächsischen Rechtsquellen zu selten erwähnt, als daß sein rechtliches Kennzeichen auch nur vermutungsweise festzustellen wäre.

Dagegen hat Heck, ein Forscher auf dem Gebiet des friesischen Rechts, in neuester Zeit die der sächsischen sehr ähnliche friesische Ständegliederung auf Grund des dort sehr viel ausgiebigeren Materials dahin gedeutet, daß die friesischen Edelinge Gemeinfreie, d.h. Mitglieder der das Volk bildenden Sippen, Geschlechtsgenossen, gewesen seien, während die Frilinge (liberi) als Minderfreie, d.h. persönlich freie aber ungesippte Leute, keiner der volksrechtlich anerkannten Sippen angehört hätten.

Zu dieser letzteren Klasse zählt er in erster Linie die Freigelassenen, dann die unehelich oder nicht vollehelich Geborenen, wohl auch die Volksfremden und schließlich die Nachkommen dieser Personen.[1] Das Volk, d.h. die vollberechtigten, freien Volksgenossen, bildete einen geschlossenen Verband bestimmter Geschlechter (genealogiae). Jeder Freie, der nicht durch seine Geburt einem solchen Volksgeschlecht angehörte, gehörte damit auch nicht zum Volk im engeren Sinne. Das von ihm abstammende Geschlecht war kein Volksgeschlecht, ehe es nicht durch förmliche Aufnahme in den Sippenverband diese Eigenschaft erhielt. Nimmt man nun eine größere Zahl solcher dauernd außerhalb des Verbandes der alten Volksgeschlechter stehenden Familien an, so erhält man einen Stand freier Leute, der durch ein völlig klares Kennzeichen von der ersten Klasse geschieden war. Die erste Klasse aber bildeten die Edelinge, die Geschlechtsgenossen.


  1. Vgl. Heck, Altfriesische Gerichtsverfassung. Weimar 1894, S.224 und 225, 234.