Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland/Anlagen 124

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Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland
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Auch zu sonstigen öffentlichen Leistungen, welche die neue Staatsgewalt verlangte, waren in erster Linie freie und hörige Bauern verpflichtet.[1] So waren für Laten und Frilinge Ursachen zur Unzufriedenheit in Hülle und Fülle vorhanden.

Es scheint, daß der Aufstand gegen die nobiles diesen nicht so sehr als Grund- und Leibherren wie als Vertretern der fränkischen Herrschaft galt. Aber bei der privatrechtlichen Abhängigkeit der beiden aufrührerischen Volksklassen von den Edelingen mußte die Erhebung völlig den Charakter der sozialen Revolution annehmen.

Aber die Geschichte des Stellingaaufstandes zeigt noch eine andere, sehr wichtige Thatsache, daß nämlich die alte soziale Ordnung des sächsischen Volkes, Abhängigkeit der Frilinge und Laien von den nobiles, unter den Enkeln Karls des Großen, in der Hauptsache wenigstens, noch bestand. Erst unter den sächsischen Kaisern trat eine völlige Änderung dieser Ordnung ein. Die Vorbedingungen und Anfänge dieser Änderung liegen allerdings noch in der karolingischen Epoche.

Die Änderungen, welche die ländliche Verfassung Sachsens unter den letzten Karolingern und besonders unter den Kaisern aus dem sächsischen Hause erfuhr, lassen sich kurz unter zwei Hauptgesichtspunkten zusammenfassen.

1. Die kleinen Grundherrschaften der nobiles sammelten sich in den Händen des Königs, der Kirchen und der Großen zu Großgrundherrschaften an.

2. Der Stand der liberi, d.h. die minderfreien, hauptsächlich durch Freilassung entstandenen, schutzpflichtigen bäuerlichen Eigentümer und Kolonen gingen wieder in den Stand der Laten auf, aus denen sie entsprossen waren.

Um die Ursachen dieser großen Umwälzungen zu begreifen, müssen wir in die karolingische Zeit und zwar auf die fränkische Eroberung selbst zurückgehen.

Karl der Große hatte zwar die ständische Gliederung des Volkes unberührt gelassen, aber mehrere seiner Maßnahmen und die Thatsache der Einverleibung Sachsens in das fränkische Reich selbst bildeten den Anlaß zu einer allmählich sich vollziehenden Umgestaltung der sozialen Ordnung des sächsischen Volkes.

Zunächst ist überliefert, daß der König, um die wiederholten Erhebungen des unterworfenen Volkes zu bestrafen, eine große Menge von Sachsen mit Weib und Kind aus ihrer Heimat entführt und in den verschiedensten Gegenden des außersächsischen Frankenreichs angesiedelt habe.[2] Unter diesen Verbannten sollen Angehörige aller Stände, also


  1. Vgl. Osnabrück. Urkundenbuch ed. Philippi, Bd.I Nr.118 (d.d. 1002). Der Königszins, der allen Freien mit Ausnahme der nobiles obgelegen haben soll, ist sehr bestritten. — Vgl. Meyer in der kritischen Vierteljahrsschrift für die Gesetzgebung u. Rechtswissenschaft. Neue Folge, Bd.XII, S.167. — Dagegen Waitz, Verfassungsgeschichte III, S.148 Anm.2. Vgl. darüber später, S.134*.
  2. Vgl. Waitz, Verfassungsgeschichte, Bd.III S.119, 129 ff. — Dahn, Urgeschichte der germanischen Völker. Berlin 1889, Bd.IV, S.171-188.