Urnenfunde an der Glenne

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Lehrer Heinrich Terhaar (1866 – 1932)
Zeichnung zur Fundstätte bei Dinkelmann
von Heinrich Terhaar
Urnenfragment aus dem Fund auf dem Anwesen des Landwirtes Dinkelmann an der Glenne aus dem Jahre 1926. Die Urne war lange Zeit im Besitz des Landwirtes Nölke. Heute befindet sie sich im Museum der Abtei Liesborn.
Mit Ornamenten verzierte Urne aus einem Urnenfund in Suderlage. Der Zeitpunkt des Fundes ist nicht eindeutig geklärt. Die Urne befindet sich heute im Museum der Abtei Liesborn.
Urne aus einem Urnenfund aus dem Jahre 1892 am Böbbinghof in Cappel. Die Urne steht im Stadtmuseum in Lippstadt. Ihr Alter wird von Fachleuten auf über 2500 Jahre geschätzt (800 bis 450 v. Chr.)
Urnen-Beigefäß in Form einer Henkeltasse, gefunden 1928 auf dem Hof Dinkelmann in Suderlage. Standort: Stadtmuseum Lippstadt

Urnenfunde an der Glenne

von Klaus Luig, Bad Waldliesborn


Vor 150 Jahren wurden am Unterlauf der Glenne mehrmals Urnen gefunden: Eine Urne zwischen Glenne und Hünenburg (Altes Lager) auf der damals sogenannten Waltruperheide in einer Sandgrube, eine andere Urne auf einem Acker des Hofes Grothues. Diese Urne stand in der Erde unter einem Schutzdach, das von zwei schräg stehenden Steinen gebildet wurde. Beide Funde sind leider nicht erhalten geblieben, wie der Lehrer und Heimatforscher Heinrich Terhaar berichtet.


Die einige Zeit später in großer Zahl am Stift Cappel gefundenen Urnen sollen das Opfer groben Unfugs geworden sein: Sie sollen von Erdarbeitern auf Riegelposten gestellt und durch Steinwürfe zertrümmert worden sein.


Auch in den sandigen Hügeln nahe des Hofes Böbbing in Cappel (heute: Hollenhorst) sind mehrmals Urnen gefunden worden. Eine dieser Urnen kam in den Besitz des Pfarrers Fleige zu Hellinghausen, nach dessen Tod in ein Museum nach Paderborn. Einige andere Urnen aus diesem Fund gelangten in das Heimatmuseum (heute: Stadtmuseum) in Lippstadt, wo sie noch heute zu begutachten sind. Sie werden in der dortigen Beschriftung in die Zeit zwischen 800 bis 450 v. Chr. eingeordnet, also der frühen Eisenzeit zugerechnet. Sowohl in den Urnen, die am Stift in Cappel gefunden wurden als auch in den Urnen, die am Hofe Böbbing geborgen wurden, fanden sich Reste menschlicher Knochen, die auf Feuerbestattung schließen lassen.


Durch einen glücklichen Zufall wurde im Frühjahr 1900 etwa 900 Meter südlich der Hünenburg an der Glenne zwischen den Gehöften Dinkelmann und Nölke inmitten mächtiger Wälle alter Ackerkämpe eine weitere Urnenbegräbnisstätte unserer heidnischen Vorfahren gefunden. Diese Urnenstätte musste schon Jahrhunderte in Vergessenheit geraten sein, denn niemand vermutete damals in diesem unscheinbaren Flecken Heide eine ehemalige Kultstätte. Nicht einmal Sage und Spuk befassten sich mit diesem Ort. Die Sage vom König im goldenen Sarg, die zu manchen Urnenstätten in Verbindung gebracht wird, war im Gebiet an der Glenne mit der Hünenburg (auch Altes Lager genannt) verknüpft. Nahe sich an der Urnenstätte zeigende Brandschichten deutete man lange Zeit als Reste ehemaliger Osterfeuer. Auch eine einzelne um 1875 gefundene Urne auf dem Anwesen des Landwirtes Dinkelmann schenkte man damals keine große Beachtung. Erst im Frühjahr 1900 konnte die teils mit Kiefern bestandene, teils als Sandgrube dienende Fläche nahe der Höfe Nölke und Dinkelmann als ehemalige Begräbnisstätte bestimmt werden. Ein scharfer Märzwind legte damals die Trümmer von vier Urnen frei, die infolge Sandabfuhr unter einer nur noch dünnen Sanddecke standen und deshalb durch die Last der Wagen zerdrückt wurden. Zur Aufklärung des Fundes zog man damals den nur wenige hundert Meter in der „Alten Schule“ entfernt wohnenden Lehrer und Heimatforscher Heinrich Terhaar zu Rate. Dieser beschreibt den Fundort und die Beschaffenheit der Urnen so: „Als ich die Fläche nach weiteren Urnen durchsuchte, zeigte sich zunächst unter der Heidekrautdecke eine Schicht, die stark mit Holzkohlen, vereinzelt auch mit Scherben, Feuersteinen und Granitknollen durchsetzt war. Die Steine zeigten Brandspuren.


Als ich 30 Quadratmeter etwa ½ Meter tief durchsucht hatte, fand ich 30 Zentimeter unter der Brandschicht auf einer Packung schwarz gebrannter Knochenstücke einen Eisennagel von 4 Zentimeter Länge. Die hier gefundenen Knochen schienen größtenteils Reste von Tierschädeln zu sein. Unter diesem Funde, der als Beigabe zu deuten ist, stand 1 Meter unter der Erdoberfläche in reinem Sande eine große Urne, die ganz mit zersplitterten Knochen gefüllt war. Leider zerbrach die Urne schon in der Grube unter der Last ihrer Füllung. Ich hatte den Fehler begangen, die Urne sofort gänzlich freizulegen. Es hätte um die Urne ein Sandklotz stehen bleiben müssen, in dem sie dann einige Tage langsam trocknen und erhärten konnte. Die Aussicht auf den Besitz einer unversehrten Urne war also dahin. Aber der Anblick des Trümmerhaufens reichte hin, den würdigen Herrn Pfarrer Fleige aus Hellinghausen, ein Mitglied unseres kleinen, leider bald durch Krankheit und Tod gesprengten Vereins für Heimatkunde, zu einem wahren Indianertanz zu bringen. Die weniger frommen Weltleute unter den Vereinsmitgliedern beschlossen den Abend mit einer Zecherei, die sich von den Gelagen der alten Germanen nur durch die Güte des Stoffes unterschied.“


Die Bruchstücke der Urnen gestatteten aber das Messen der Größe und eine genaue bildliche Darstellung. Lehrer Terhaar gibt dazu folgendes an: „Die Urne hatte bei größtem Durchmesser von 36 Zentimetern eine Höhe von gleichfalls 36 Zentimetern, der abgesetzte Hals 3 – 4 Zentimeter hohe Hals hatte 24 Zentimeter Durchmesser. Die Urne war aus feinkörnigem Ton nicht sehr hartgebrannt, zeigte hellbraunen Bruch, war innen schwärzlich, außen teils braun, teils schwärzlich gefärbt. Die ziemlich geglättete Oberfläche zeigte keine Verzierungen. Herr Oberlehrer Kersting aus Lippstadt stellte fest, dass die Urne die Gebeine zweier, nach Statur und Alter verschiedener Menschen enthielt. Die trichterförmige, splittrige Verletzung eines Rückenwirbels wurde von Sanitätsrat Dr. Marx aus Erwitte als Stichwunde bestimmt.

Unter den Knochenresten befanden sich 16 Zähne und 8 Zahnfragmente.


Da der angrenzende Teil der Urnenstätte Kiefernschonung war, mussten die Grabungen zunächst eingestellt werden. Als aber in den Jahren 1908 – 1910 die Kiefern abgeholzt wurden, fanden Erdarbeiter dicht unter der Erdoberfläche noch viele weitere Urnen, die in Größe, Farbe und Inhalt von der oben beschriebenen Urne keine Abweichungen zeigten. Es konnte allerdings aus diesem Fund nicht eine Urne unversehrt geborgen werden. Sie waren in dem feuchten Sand zu morsch geworden, zudem noch von Wurzelgeflecht stark durchwachsen und zerdrückt. An Beigaben wurde ein handgroßes, urnenförmiges, weißes Töpfchen gefunden. Es ging in den Besitz des damaligen Studenten Heinrich Grothues über, der später als promovierter Historiker lange Jahre als Direktor die Universitätsbibliothek in Kiel leitete.


Auch über das Alter der gefundenen Urnen machte sich Lehrer Terhaar damals Gedanken. Er hält fest: „Das Alter der hier gefundenen Urnen kann nur im allgemeinen bestimmt werden. Gegen die Zugehörigkeit zur Stein- und Bronzezeit spricht der mitgefundene Eisennagel, der seiner Lage gemäß nur gleichzeitig mit der Urne in die Erde gekommen sein kann und darum als Beigabe zu deuten ist. Er kann aber nur als Symbol oder als Ersatz eines Waffenstückes oder Gerätes gelten, dessen sich der in der Urne Bestattete zu seinen Lebzeiten bedient hat. Die Urne kann nur in der Eisenperiode, und zwar erst in historischer Zeit der Erde übergeben worden sein.

Nach Könens Gefäßkunde finden sich Urnen vorbeschriebener Art auf beiden Rheinufern in germanischen Grabfeldern aus der Periode der älteren römischen Kaiserzeit. Nach Könen fehlen in den germanischen Gräbern dieser Periode durchweg wertvolle Beigaben. Das bestätigt auch Kaufmann in seinem Buch ‚Deutsche Altertumskunde’. Nach diesen Kriterien mögen die Urnen aus dem Fund in Suderlage an der Glenne im 1. Jahrhundert n. Chr. der Erde übergeben worden sein.“ Über einen weiteren Urnenfund auf dem Gelände des Landwirtes Dinkelmann erfährt man in einem Bericht der Tageszeitung „Die Glocke“ vom 26. Mai 1926. Dort heißt es unter der Überschrift „Urnenfunde an der Glenne“: „In der Bauerschaft Suderlage in der Gemeinde Liesborn fand man auf einem sandigen Ackerstück, das dem Landwirt Dinkelmann gehört, am 10. und 12. Mai sechs große und zwei kleine Urnen. Herr Dinkelmann ist augenblicklich damit beschäftigt, eine größere Fläche sandigen Ackerlandes zu senken. Er gibt den Sand ab an die Landwirte der Umgebung.


Bei den Erdarbeiten kamen die Urnen, die ungefähr zwei Spatenstiche tief unter der Oberfläche steckten, zu Tage. Eine gut erhaltene mittelgroße Urne hat Herr Gutsbesitzer W. Schulze – Waltrup, der ein großer Altertumsfreund ist, erhalten. Je zwei mittelgroße und eine kleine Urne nahmen die Landwirte Nuphaus – Merten und Roxel – Vorwerk, die von dem genannten Grundstück Sand abgefahren hatten, in Verwahrung. Ein Urnenbruchstück besaß der Landwirt Nölke.


Leider sind nur die kleinen Urnen unbeschädigt geblieben. Da die aus Ton gebackenen Töpfe in feuchtem Zu- stand aus der Erde gehoben wurden, sind sie auseinandergefallen. Eine Kommission des Kreisheimatbundes hat bei den genannten Gutsbesitzern eine Besichtigung der Funde vorgenommen und alle Urnen bis auf die des Herrn Waltrup für das Museum in Beckum geschenkt erhalten. Dem Studenten der Archäologie (Altertumskunde), Herrn A. Schulte in Beckum, ist es gelungen, die Bruchstücke der Urnen wieder zusammenzufügen, so dass die Formen gut erkennbar sind. Mit Sicherheit können wir jetzt schon mitteilen, dass die Urnen, die die Reste verbrannter Leichen in sich bergen, aus einer Zeit stammen, in der unsere Vorfahren noch Heiden waren und nach altem Brauch ihre Toten verbrannten. Durch Karl den Großen wurde die Verbrennung der Leichen unter Todesstrafe verboten. Die Urnen haben also wenigstens ein Alter von 1100 bis 2000 Jahren."

Diese damals dort gefundenen Urnen befinden sich heute nicht mehr im Museum in Beckum, sondern zum kleineren Teil im „Museum Abtei Liesborn“, zum größeren Teil im Archiv der LWL-Archäologie in Münster. Auch das Urnenfragment, das sich im Besitz des Landwirtes Nölke befand, wurde vor einigen Jahren durch den heutigen Hofbesitzer Heinz-Wilhelm Nölke an das „Museum Abtei Liesborn“ gegeben, wo es sich auch heute noch befindet.


Bei Nachforschungen zu diesem heimatkundlichen Beitrag stieß der Verfasser auf eine Empfangsurkunde unter dem Datum des 15. Juni 1930 über ein Graburnen-Beigefäß, ausgestellt durch das damalige Heimatmuseum für den Kreis Lippstadt mit folgendem Wortlaut: „Herrn Landwirt Brömse in Liesborn. Das Heimatmuseum für den Kreis Lippstadt bestätigt Ihnen hiermit dankend den Empfang eines Geschenkes bestehend in einem Graburnen – Beigefäß (Henkeltasse) aus der Bronzezeit (2500 – 1000 v. Chr. Geb.). Das Geschenk soll nach dem Willen des Gebers, unveräußerliches Eigentum des Kreises Lippstadt sein und bleiben und im Falle einer Auflösung des Heimatmuseums dem Landesmuseum der Provinz Westfalen in Münster zur Verfügung gestellt werden. Lippstadt, den 15. Juni 1930. Heimatmuseum für den Kreis Lippstadt, Der Vorstand: Schröder.“


Dass dieses Urnen – Beigefäß aus dem Urnenfund bei Dinkelmann in Suderlage stammt, beweist ein Eintrag in das Empfangsbuch des heutigen Stadtmuseums in Lippstadt. Unter dem Datum des 15. Juni 1930 ist dort eingetragen: „Ein Urnenbeigefäss – Henkeltasse, 7½ cm hoch, gefunden 1928 in der Sandgrube des Herrn Dinkelmann zu Suderlage, übergeben von Gemeinde-Vorsteher Landwirt Brömse, Liesborn.“


Unter der fachkundigen Hilfe der Mitarbeiterin des Lippstädter Stadtmuseums, Frau Scheunemann, konnte dieses Objekt in einer Glasvitrine des Museums in Lippstadt entdeckt werden. Mit folgendem Text wird die als Henkeltasse bezeichnete Urnen-Beigabe dort beschrieben: „Tasse - gebrannter Ton - Jungsteinzeit, Fundort: Suderlage, etwa 4000 vor Christus. Die Hersteller waren bereits Ackerbauern und Viehzüchter. Ohne Beherrschung des Feuers wäre die Anfertigung von Keramik, also das Brennen von Ton, nicht möglich gewesen. Erst Keramik ermöglichte Gefäße für Vorratshaltung und die Herstellung von Ess- und Trinkgefäßen."


Wie aus den obigen Beschreibungen zu ersehen ist, differieren die Angaben über das Alter dieser Urnen-Beigabe sehr stark. Sie reichen von der Jungsteinzeit über die Bronzezeit bis hin zur Eisenzeit. Wie das genaue Alter auch immer sein mag, die Urnenfunde an der Glenne beweisen, dass das Gebiet am Zusammenfluss von Lippe und Glenne schon in grauer Vorzeit besiedelt war.



Benutzte Quellen:

  1. Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde, Münster, 1901, 59. Band
    hier: Heinrich Terhaar: Urnenfund an der Glenne
  2. „Die Glocke“, Ausgabe 26. Mai 1926, Urnenfunde an der Glenne
  3. „Die Glocke“, Heimatblätter, Juni 1921, Lehrer Terhaar, Liesborn, „Urnenfunde an der Glenne“